Süddeutsche Zeitung

Chemie-Waffen:Wie die waffenfähigen Chemikalien nach Syrien kamen

Lesezeit: 4 min

Von Paul-Anton Krüger, Frederik Obermaier und Dunja Ramadan, München

Die Bundeswehr schickte ein Schiff ins Mittelmeer, das Auswärtige Amt gab Geld. Die Bundesregierung wolle "einen starken Beitrag zur Beseitigung der syrischen Chemiewaffen" leisten, hieß es im September 2013, nachdem der Diktator Baschar al-Assad sich verpflichtet hatte, sein Arsenal abzurüsten. Doch während die Fregatte Augsburg das US-Schiff MV Cape Ray eskortierte, an deren Bord die Kampfstoffe vernichtet wurden, lieferten deutsche Firmen offenbar auch noch 2014 über die Schweiz tonnenweise Chemikalien nach Syrien - trotz EU-Sanktionen und ungeachtet des andauernden Krieges. Es waren wohl Substanzen, die zur Produktion der Nervenkampfstoffe Sarin, VX und Tabun genutzt werden können.

Der Essener Chemiegroßhändler Brenntag AG hat 2014 über eine Schweizer Konzerntochter Isopropanol und Diethylamin an ein syrisches Pharmaunternehmen mit Verbindungen zum Assad-Regime verkauft. Dies geht aus Unterlagen hervor, die die Süddeutsche Zeitung, der Bayerische Rundfunk und Journalisten des Schweizer Tamedia-Verlags einsehen konnten. Beide Stoffe können für die Produktion von Arzneimitteln eingesetzt werden - oder von Chemiewaffen. Schon 2012 hatte die EU deswegen Embargos verhängt und 2013 weiter verschärft. Seither durften die Stoffe aus Deutschland nur mehr mit einer Genehmigung der Behörden nach Syrien exportiert werden.

BASF teilt mit: Direkte Lieferungen nach Syrien habe es nicht gegeben

Laut der Brenntag AG wurde die Lieferung der Produkte durch die in Basel ansässige Brenntag Schweizerhall AG "in Einklang mit dem geltenden Recht abgewickelt". Andere Brenntag-Gesellschaften seien nicht involviert gewesen. Das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) habe die Einhaltung der bestimmungsgemäßen Exportabwicklung an den syrischen Empfänger bestätigt.

Obwohl die Organisation zum Verbot chemischer Waffen (OPCW) im Januar 2016 erklärt hatte, dass alle von Syrien deklarierten chemischen Kampfstoffe und die Ausgangsstoffe für deren Produktion unschädlich gemacht worden seien, darunter Isopropanol, hat das Regime danach erneut Sarin eingesetzt. So nach Ansicht einer gemeinsamen Untersuchungsmission der OPCW und der Vereinten Nationen bei einem Angriff auf den von Rebellen gehaltenen Ort Khan Scheikhun in der Region Idlib im April 2017, bei dem Dutzende Menschen getötet wurden. Das geruchs- und farblose Gift wirkt in geringsten Mengen auf das Nervensystem und löst Lähmungen aus, die zu einem qualvollen Tod durch Ersticken führen.

Das von Brenntag nach Syrien gelieferte Isopropanol wurden nach Recherchen von SZ, BR und Tamedia vom Hamburger Unternehmen Sasol Solvents Germany GmbH produziert. Sasol Germany räumte auf Anfrage ein, dass die Schwestergesellschaft Sasol Solvents Germany GmbH bis Ende Mai 2014 regelmäßig Isopropanol in die Schweiz verkauft hat. Das Diethylamin soll der deutsche Chemiekonzern BASF am belgischen Standort Antwerpen hergestellt haben. Der Stoff kann zur Produktion der Nervenkampfstoffe Tabun und VX verwendet werden. OPCW-Inspektoren haben in Syrien VX-Spuren in einer nicht deklarierten militärischen Einrichtung nachgewiesen. Die BASF-Zentrale in Ludwigshafen teilte mit, der Konzern habe unter den damals geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen an seine Kunden geliefert. Direkte Lieferungen nach Syrien habe es nicht gegeben.

Noch 2017 starben Dutzende Menschen im syrischen Krieg durch Sarin einen qualvollen Tod

Wie das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle mitteilte, wurde seit Beginn des Syrien-Kriegs in Deutschland keine Exportgenehmigung für die beiden Stoffe erteilt - und sie wären wohl auch nicht erteilt worden, hätten die beteiligten deutschen Unternehmen einen Antrag gestellt.

Anders in der Schweiz. Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco teilte der in Basel ansässigen Schweizer Tochter der Brenntag AG am 4. Juni 2014 per E-Mail mit, "keinen Einwand" gegen die Ausfuhr von Isopropanol und Diethylamin zu haben. Erstmals hatten 2018 das Schweizer Fernsehen und die Tamedia-Gruppe über die Lieferungen und die Rolle der Schweizer Behörden berichtet. Nach Ansicht der Regierung in Bern war der Export also legal.

Die Staatsanwaltschaft in Essen, dem Sitz der Brenntag AG, hat indes ein Verfahren eingeleitet und prüft die Aufnahme von Ermittlungen. In Belgien wurde die Angelegenheit an die Bundesanwaltschaft übergeben. Die Nichtregierungsorganisationen Trial International, Syrian Archive und Open Society Justice Initiative hatten Anzeige erstattet. Es besteht der Verdacht, dass die beteiligten deutschen Firmen bewusst das Schlupfloch über die Schweiz für illegale Umweg-Lieferungen genutzt und damit gegen das Außenwirtschaftsrecht verstoßen haben.

Sasol hatte nach eigenen Angaben "zu keinem Zeitpunkt Hinweise darauf, dass ein Verkauf der Produkte nach Syrien erfolgen könnte". Die zum Verkaufszeitpunkt relevanten gesetzlichen Vorgaben habe man eingehalten. BASF bestreitet direkte Lieferungen. Ob die Chemikalien 2014 womöglich weitergeleitet wurden, könne man nicht sagen. Darüber lägen "keine Informationen" vor.

Geliefert wurden 280 Kilogramm Diethylamin und 5120 Kilogramm Isopropanol an die Firma Mediterranean Pharmaceutical Industries (MPI) in Damaskus. Sie war Lizenznehmer des Pharmaunternehmens Novartis und produzierte Schmerzmittel wie Voltaren - wofür Isopropanol auch verwendet werden kann. Zumindest die Syrer waren im Bilde, von woher die Produkte stammen - auf ihren Lieferlisten sind die Hersteller verzeichnet und die Ursprungsländer: Belgien und Deutschland.

Chef von MPI war damals der 2018 verstorbene sunnitische Geschäftsmann Abdul Rahman Attar, Präsident der Syrischen Internationalen Handelskammer und Inhaber der Attar Group, eines der größten Multiunternehmen Syriens, zu dem Banken und Versicherungen ebenso gehörten wie Pharma-, Tourismus- und Landwirtschaftsfirmen. Ein solches Konglomerat kann in Syrien niemand gegen den Willen des Assad-Clans aufbauen - vor allem nicht gegen Rami Makhlouf, den Cousin von Präsident Baschar al-Assad.

US-Botschaftsdepeschen, die Wikileaks publiziert hat, zeigen, wie eng die Kontakte waren. Attar habe bei der Gründung einer privaten Fluggesellschaft als Strohmann für Makhlouf fungiert, berichteten die Diplomaten 2008 - mutmaßlich um US-Sanktionen zu umgehen. Makhlouf steht seit 2008 in den USA und seit 2011 in der EU auf den Sanktionslisten. Auch soll Attar unter Hafez al-Assad, Vater und Vorgänger des jetzigen Diktators, an Versuchen beteiligt gewesen sein, Kommunikationsausrüstung aus den USA für den berüchtigten Luftwaffen-Geheimdienst zu beschaffen, dem wichtigstem Instrument des Clans zur Unterdrückung seiner Gegner.

Verdeckte Beschaffungsversuche Syriens sind der Bundesregierung seit Jahrzehnten bekannt

Attar selbst und sein Pharmaunternehmen waren, anders als viele syrische Firmen in diesem Bereich, nicht auf der EU-Sanktionsliste verzeichnet - was wohl damit zu tun hatte, dass der kanadisch-syrische Doppelstaatler 35 Jahre lang Präsident des Syrisch-Arabischen Roten Halbmonds war und in dieser Funktion auch in vielen westlichen Ländern bis weit in den Krieg hinein empfangen wurde.

Auch der Bundesregierung sind allerdings verdeckte Beschaffungsversuche Syriens für Chemiewaffen seit Jahrzehnten bekannt, wie aus historischen Akten des Auswärtigen Amtes hervorgeht. Darin findet sich etwa ein Vermerk über den Besuch des damaligen israelischen Botschafters im Dezember 1984, der "nachrichtendienstliche Erkenntnisse" übermittelte: Syrische Wissenschaftler bemühten sich demnach seit Mitte der Siebzigerjahre im Auftrag der Regierung, "unter dem Deckmantel landwirtschaftlicher und medizinischer Forschungen" Chemiewaffen herzustellen, insbesondere Sarin.

Das führte aber nicht dazu, dass deutsche Regierungen die Ausfuhr von Gerätschaften und Chemikalien nach Syrien gestoppt hätten. In einem als geheim eingestuften Bericht hatte die OPCW der Bundesregierung bescheinigt, dass zwischen 1982 bis 1993 mehr als 50 Lieferungen aus Deutschland nach Syrien gegangen sein sollen. Die Informationen hatten die OPCW-Inspektoren von den Syrern. Die mussten bei der Offenlegung ihres Chemiewaffenprogramms Dokumente über Lieferanten herausgeben. Die Namen der Firmen hielt die Bundesregierung geheim.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4498388
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.06.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.