Süddeutsche Zeitung

Anti-Terror-Krieg:US-Luftangriff könnte Kriegsverbrechen gewesen sein

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Das US-Militär hat offenbar einen Luftangriff auf die Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien 2019 zu verschleiern versucht. Denn dabei waren Zivilisten umgekommen.

Von Christian Zaschke, New York

Die US-Armee hat im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien bei einem Luftangriff Dutzende Zivilisten getötet und das anschließend verheimlicht. Das geht aus einer Recherche der New York Times hervor, an der die Reporter nach eigenen Angaben monatelang gearbeitet haben.

Dem Bericht zufolge flog eine Drohne in der Nähe der Stadt Baghuz über einem Feld, auf der Suche nach IS-Kämpfern. Zu sehen war jedoch lediglich eine Gruppe von Frauen und Kindern. Plötzlich sei ein F15-Kampfjet aufgetaucht und habe eine 500-Pfund Bombe auf die Gruppe geworfen. Als der Rauch sich verzogen habe, seien Überlebende zu sehen gewesen, die Schutz suchten. Der Jet habe zwei weitere Bomben abgeworfen, welche die meisten Überlebenden töteten.

Es war der 18. März 2019. Im Kontrollzentrum, in dem die Bilder der Drohne live zu sehen waren, habe Konfusion geherrscht. "Wer hat die abgeworfen", habe ein Mitarbeiter über ein sicheres Chat-System gefragt. Jemand habe geantwortet: "Wir haben soeben (eine Bombe) über 50 Frauen und Kindern abgeworfen." Tatsächlich war die Zahl noch höher.

Der Angriff sei gerechtfertigt gewesen, sagt das Central Command

Das US Central Command hat den Vorfall nun nach den Recherchen der New York Times bestätigt. Es seien bei dem Luftangriff 80 Menschen ums Leben gekommen. Der Angriff sei jedoch gerechtfertigt gewesen. Die Bomben hätten 16 IS-Kämpfer und vier Zivilisten getötet. Was die anderen 60 Opfer angehe, könne man nicht sicher sein, ob diese Terroristen waren, weil der IS auch Kinder und Frauen bewaffne.

Ein Sprecher der Armee teilte mit: "Wir verabscheuen die Verluste von unschuldigen Leben und ergreifen alle notwendigen Maßnahmen, um diese zu verhindern. In diesem Fall haben wir den Luftschlag auf der Grundlage unserer eigenen Ermittlungen gemeldet, und wir übernehmen die volle Verantwortung für den unbeabsichtigten Verlust von Leben."

Nach Angaben der New York Times hat allerdings allein jene Einheit die Luftschläge untersucht, die sie zuvor auch angeordnet hatte. Die Untersuchung kam zu dem Schluss, dass das Bombardement legal war, da das Ziel IS-Kämpfer gewesen seien und nur eine geringe Anzahl an Zivilisten ums Leben gekommen sei. Daher sei eine Untersuchung wegen möglicher Kriegsverbrechen nicht nötig gewesen.

Dean Korsak, ein Anwalt der US-Luftwaffe, sah das anders. Er war der Ansicht, dass sehr wohl untersucht werden müsse, ob es sich um Kriegsverbrechen handele. Wiederholt habe er seine Vorgesetzten gedrängt, den Fall zu prüfen. Nachdem zwei Jahre lang nichts passiert war, schickte er eine E-Mail an den Militärausschuss des Senats. "Hochrangige US-Militärs haben mit Absicht und systematisch den vorgesehenen Prozess unterlaufen", heißt es darin. Eine Einheit habe falsche Einträge in ein Logbuch geschrieben. Er sehe klare Hinweise darauf, dass es den Versuch gab, den Angriff zu vertuschen.

Im Jahr 2019 flogen die USA annähernd 1000 Angriffe auf Ziele in Syrien und im Irak, 4729 Bomben und Raketen wurden abgeworfen. Dabei sind nach offiziellen Angaben lediglich 22 Zivilisten ums Leben gekommen.

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