Süddeutsche Zeitung

Syrien:Assads Armee erobert wichtige Stadt

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Von Dunja Ramadan, München

Die Bilder aus der syrischen Stadt Khan Scheikhun gingen im April 2017 um die Welt: Kinder, die nach einem mutmaßlichen Giftgasangriff um jeden Atemzug rangen. Mindestens 86 Menschen starben bei dem Angriff. Eine UN-Untersuchungskommission macht die syrische Regierung dafür verantwortlich. Jene Stadt in der Provinz Idlib konnten die syrischen Regierungstruppen von Präsident Baschar al-Assad bis Mittwochabend nun fast komplett zurückerobern. Khan Scheikhun war fünf Jahre in den Händen der Rebellen und liegt an der strategisch wichtigen Straße von Damaskus nach Aleppo. Idlib ist mit etwa drei Millionen Bewohnern die letzte Rebellenenklave, die nach acht Jahren Krieg nicht von Regierungstruppen kontrolliert wird. Nach den Entwicklungen vom Mittwoch heißt es wohl: noch nicht.

Assad konnte mit dem Vordringen in die Stadt den ersten nennenswerten Erfolg seit Beginn der Offensive im April verbuchen. Einige Rebellen zogen sich nach Norden zurück, andere wurden eingekesselt, als die Armee den Ring um die Stadt und ihr südliches Umland schloss. Zu dem Zeitpunkt nahmen die syrische und russische Luftwaffe bereits Orte nördlich von Khan Scheikhun ins Visier, unter anderem Alteh oder Saraqib. Die Gewalt der vergangenen Tage hat fast 70 000 Menschen vertrieben, wie das Gesundheitsdirektorat Idlib und die Hilfsorganisation Syrian American Medical Society (SAMS) meldeten. Die Menschen fliehen nach Norden, suchen Zuflucht auf Feldern - doch weit kommen sie nicht. Die Grenze zur Türkei ist geschlossen, die Flüchtlingslager sind überfüllt.

Und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will den syrischen Vormarsch auf Idlib mit allen Mitteln verhindern. Eine neue Massenflucht der Syrer in die Türkei würde ihn innenpolitisch weiter in Bedrängnis bringen. Mehr als drei Millionen syrische Flüchtlinge leben bereits in der Türkei. Kritiker werfen der Regierung in Ankara vor, seit Juli Syrer abzuschieben - auch in Kriegsgebiete wie in Idlib, das Assad derzeit zu stürmen versucht. Am Dienstagabend hat die Türkei die Abschiebefrist für in Istanbul nicht gemeldete syrische Flüchtlinge bis 30. Oktober verlängert.

Eskalationsgefahr zwischen der Türkei, Syrien und Russland

Das könnte auch mit der sich zuspitzenden Situation in Syrien zusammenhängen. In Murak, zehn Kilometer südlich der Stadt Khan Scheikhun, befindet sich ein türkischer Beobachtungsposten, den Ankara auf keinen Fall räumen möchte. "Wir haben nicht die Absicht, ihn woanders aufzustellen", sagte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Die Türkei, Russland und Iran vermitteln in dem Konflikt zwischen der syrischen Führung und den Rebellen. Sie hatten sich auf eine sogenannte Deeskalationszone in der Provinz Idlib und die Errichtung von Beobachterposten entlang der Front geeinigt.

Doch Anfang der Woche drohte der Konflikt zwischen der syrischen Armee und türkischen Soldaten zu eskalieren. Kampfflugzeuge, von denen bis heute nicht klar ist, ob sie zur russischen oder syrischen Luftwaffe gehören, griffen einen türkischen Konvoi in der Nähe der Stadt Khan Scheikhun an. Drei Zivilisten sollen dabei ums Leben gekommen sein, zwölf wurden verletzt. Der Zwischenfall belastete auch die Beziehungen zwischen Moskau und Ankara. Russland gilt als engster Verbündeter des syrischen Machthabers.

Der Zweikampf zwischen Russland und der Türkei könnte bei einem Sturm auf Idlib eskalieren. Am Mittwoch setzte Erdoğan auf ein Signal der Stärke: Mehrere Militärkonvois fuhren durch die Provinz Idlib, auf dem Weg zum türkischen Militärposten nach Murak, der mittlerweile fast komplett von syrischen Regierungstruppen eingekesselt ist.

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SZ vom 22.08.2019
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