Süddeutsche Zeitung

Koreanische Halbinsel:Ein großer Bruder für Nordkorea

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Südkorea hat sich von einem der ärmsten Länder zur Wirtschaftsmacht hochgearbeitet. Der Norden Koreas blieb als einsamer Sowjet-Anachronismus zurück. Die Rolle Seouls im Friedensprozess ist nun noch wichtiger geworden.

Kommentar von Christoph Neidhart, Tokio

Es ist, nach dem Scheitern des Gipfels von Hanoi, an Moon Jae-in, das Friedensprojekt voranzutreiben. Schließlich war es der südkoreanische Präsident, der die Entspannung auf der koreanischen Halbinsel vor den Olympischen Winterspielen 2018 einleitete und damit Nordkoreas außenpolitische Isolation aufbrach. Sechs Jahre lang war Machthaber Kim Jong-un nie im Ausland, auch zu Hause empfing er keine hohen Regierungsvertreter. Ein Jahr und ein halbes Dutzend Gipfel später bewegt sich der 35-Jährige souverän auf dem internationalen Parkett. Aber bewegt hat sich bisher wenig.

Moon fädelte Kims ersten Gipfel mit US-Präsident Donald Trump ein. Er schaltete sich ein, als Trump jenen Termin platzen lassen wollte. Im Herbst war es Moon, der den stockenden Dialog zwischen Washington und Pjöngjang neu anzuschieben half. In den vergangenen Wochen stand Moon jedoch eher im Abseits.

Anders als die USA hat Seoul das vergangene Jahr genutzt, die Beziehungen zum Norden markant zu verbessern. Die beiden Koreas haben inzwischen 38 gemeinsame Projekte. Moon hoffte, in Hanoi würden die Sanktionen gelockert, damit Süd- und Nordkorea ihre Wirtschaftszusammenarbeit wieder aufnehmen können, die 2016 gestoppt wurde.

An diesem 1. März feiert Südkorea den 100. Jahrestag eines Volksaufstands gegen die japanischen Kolonisatoren. Am 11. April 1919 gründeten nach Shanghai geflohene Aktivisten dann dort eine Exilregierung. Doch das Joch der Kolonisation wurde Korea erst mit der japanischen Kapitulation 1945 los. Moon betont neuerdings, die Koreaner könnten nun über das Schicksal ihrer Halbinsel selbst bestimmen. In einer Grundsatzrede will er an diesem Freitag eine leuchtende Zukunft für ganz Korea entwerfen. Die erhoffte "Erklärung von Hanoi", die nun ausblieb, hätte ein großer Schritt in diese Zukunft werden sollen. Nun muss Moon eine "Jetzt-erst-recht"-Rede halten.

Trump sieht Nordkorea als erster US-Präsident als ein Land mit Menschen und "enormen Möglichkeiten"

Washington hat das verarmte Nordkorea, das sich kaum selbst ernähren kann, lange auf ein Atomproblem reduziert, sein Säbelrasseln zur Gefahr für den Weltfrieden hochstilisiert. Oder es hat Pjöngjang ignoriert wie Barack Obama. Trump sieht Nordkorea als erster US-Präsident als ein Land mit Menschen und "enormen Möglichkeiten", wie er sagte. Vor dem Gipfel meinte er, mit der atomaren Abrüstung habe er es nicht eilig. Seit Singapur seien sich die beiden Seiten viel näher gekommen, so US-Außenminister Mike Pompeo. Die Nordkoreaner reisten mit realistischen Erwartungen nach Hanoi. Trotz der Annäherung hat Trump den Gipfel "freundschaftlich abgebrochen", wie er behauptete: als Verhandlungstaktik. Pompeo versicherte, die Gespräche gingen weiter, man habe sich nur nicht auf eine Abfolge der Themen einigen können. Nun wird es vor allem um die innerkoreanische Entspannung gehen.

Korea ist eine alte Zivilisation, aber die strategisch wichtige Halbinsel war noch nie ein modernes Land. Bis vor 150 Jahren war sie ein feudaler Vasallenstaat Chinas, dann stand sie kurz unter russischem Einfluss, bis die Japaner sich Korea 1910 als Kolonie unterwarfen. Sie regierten diktatorisch, beuteten die Koreaner aus, verboten ihre Sprache, steckten Tausende ins Gefängnis und folterten. Kurz vor dem Zusammenbruch Japans am Ende des Zweiten Weltkriegs besetzten die Sowjets den Norden, die USA den Süden. Der 38. Breitengrad wurde zur Grenze.

Als isolierte Diktatur hat Nordkorea auf die Dauer keine Überlebenschance

1948 wurden auf beiden Seiten mithilfe der Besatzer Regierungen gebildet, die auf dem Papier beide bis heute die Hoheit über ganz Korea beanspruchen. 1950 überfiel der Norden den Süden. Der Koreakrieg tobte drei Jahre. Dann bestätigte der Waffenstillstand von 1953, der bis heute gilt, den 38. Breitengrad als Grenze. Der Süden blieb ein Klientenstaat Washingtons, der Norden Moskaus. Auf beiden Seiten regierten brutale, nationalistische Diktatoren. Bis sich 1987 in Südkorea Studenten die Demokratie erkämpften.

Südkorea arbeitete sich von einem der ärmsten Länder zur Wirtschaftsmacht hoch. Es demokratisierte sich in Wellen, 1987, 2003. Der Sturz von Präsidentin Park Geun-hye vor zwei Jahren gilt als dritte Welle. Der Norden dagegen blieb nach dem Zusammenbruch des Kommunismus als einsamer Sowjet-Anachronismus zurück. Das Regime igelte sich ein, eine andere Überlebenschance sah es nicht. Aus Sicht Pekings und Washingtons war die hässliche Diktatur das kleinere Übel. Beide fürchten, dass die andere Seite in Nordkorea deutlich an Einfluss gewinnt.

Als isolierte Diktatur hat Nordkorea auf die Dauer keine Überlebenschance, als Atommacht auch nicht. Deshalb sind seine mächtigen Nachbarn, heute anders als vor einigen Jahren, plötzlich einig, Nordkorea müsse sich sanieren. China buhlt um Kim, Trump ebenfalls. Und Südkorea, das mit seiner "dritten Welle der Demokratisierung" gerade den nächsten Emanzipationsschritt macht, steht bereit, in die Rolle eines großen Bruders zu schlüpfen. Schließlich ist der Nationalismus in beiden Koreas stärker als jede Ideologie.

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SZ vom 01.03.2019
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