Süddeutsche Zeitung

Afrika:Ungeliebte Retter in Uniform

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Nach dem Putsch im Sudan kommt es zu schwerer Gewalt auf den Straßen. Die Armeeführung zerstört die komplizierte Machtaufteilung zwischen zivilen und militärischen Kräften. War dies der Todesstoß für die Demokratisierung am Nil?

Von Arne Perras, München

Nach einer blutigen Nacht in Khartum zogen am Dienstag weiter Demonstranten durch die Straßen und protestieren gegen den Putsch, bei dem die Militärführung am Montagmorgen die zivile Regierung aufgelöst und führende Politiker festgesetzt hat. Demonstranten riefen: "Nein zur Militärherrschaft" und "Zivil regieren ist die Wahl des Volkes". Augenzeugen bestätigten, dass es mehrere Tote und dutzende Verwundete gab, wie die BBC und andere Sender berichteten. Offenbar feuerten Soldaten mit scharfer Munition in die Menge. Das Komitee sudanesischer Ärzte sprach von drei Toten und 80 Verletzten.

Angesichts der gewaltsamen Machtübernahme des Militärs erklärte die US-Regierung von Joe Biden, dass sie nun 700 Millionen Dollar Wirtschaftshilfe für den Sudan zurückhalten. Die USA kündigten an, "die gesamten Beziehungen" zu Khartum zu überprüfen, sollte das Land nicht zurückkehren auf den Pfad zur Demokratie. Auch die Vereinten Nationen und die Europäische Union haben den Coup und die Auflösung der Regierung verurteilt. so droht das Land erneut international in die Isolation zu driften, nachdem es in den vergangenen Monaten viele Anstrengungen unternommen hatte, nicht mehr als Staat wahrgenommen zu werden, der Krieg und Terror fördert.

Begonnen hatte alles am frühen Montagmorgen, als es einen verdächtigen Blackout in Khartum gab. Das Internet war weg, der Mobilfunk gestört, selbst in den Festnetzen ging nur noch wenig. Auch kam über den Luftweg offenbar keiner mehr rein in die sudanesische Hauptstadt oder raus, der Flughafen blieb geschlossen, berichteten lokale Sender. Und aus Kreisen der Familie des Premierministers wurde schließlich bekannt, dass Soldaten Abdalla Hamdok in ihre Gewalt gebracht hätten. Wo sie den Regierungschef festhalten, war zunächst unklar.

Von Premier Hamdok war nun nichts mehr zu hören. Nur ein kurzes Statement des Informationsministeriums, das am Montag angeblich noch zu ihm stand, drang via Facebook nach draußen. Darin hieß es, Hamdok sei gekidnappt worden, er rufe zu gewaltfreien Protesten auf. Die Menschen sollten "die Revolution verteidigen". Auch andere Mitglieder des Übergangskabinetts, das seit 2019 den Krisenstaat am Nil regiert, wurden offenbar festgenommen.

So nahm Tag eins des Putsches in Khartum zunächst einen unübersichtlichen Verlauf. Denn wer nun Truppen bewegte und Politiker festnahm, war zu jenem Zeitpunkt noch nicht ersichtlich. Trotz gestörter Netze waren bald Videos zu sehen von aufgebrachten Sudanesen, die einen schwenkten Fahnen, andere trommelten mit Knüppeln auf leeren Wassercontainern herum. Hinter ihnen stiegen schwarze Rauchsäulen von brennenden Autoreifen auf.

"Wir müssen unsere Menschen beschützen", sagt der General. Nur, vor wem?

Die Ereignisse trieben Zehntausende auf die Straßen, Beobachter in Khartum werteten das als wütenden Massenprotest gegen den Putsch. Der Fernsehsender Al Jazeera schwenkte am Vormittag immer wieder zur Übertragung im sudanesischen Staatsfernsehen, in der Erwartung, dass dort bald ein Mann in Uniform erscheinen würde, um zu erklären, was vor sich geht. Stattdessen liefen aber lange nur idyllisch anmutende Bilder von Palmen und Gebäuden am Nil, untermalt von patriotischen Liedern. Das Chaos auf den Straßen war komplett ausgeblendet.

Gegen Mittag dann wechselte das Bild, ein schnurrbärtiger Mann in Camouflage und Barett auf dem Kopf trat auf und verlas eine Erklärung: General Abdel Fattah Abdelrahman Burhan, Chef der sudanesischen Streitkräfte. Er rief den Notstand aus und erklärte, dass das Militär die Sicherheit der Nation beschützen müsse. Das gesamte Kabinett der Übergangsregierung erklärte er für aufgelöst, keine Gruppe im Sudan solle jemals wieder den Willen des Volkes ignorieren. "Wir müssen unsere Menschen beschützen", sagt er. Wer denn genau die Sicherheit bedrohe, ließ er offen. Deutlich wurde nur, dass viele zivile Kräfte nun erst einmal entmachtet sind.

Augenzeugen berichteten von Truppen und gepanzerten Fahrzeugen, die Knotenpunkte in der Stadt Khartum und wichtige Brücken besetzt hielten. Die Proteste der Putschgegner weiteten sich im Laufe des Tages auch auf andere Städte des Landes aus.

Seit Wochen hatten im Sudan die Spannungen zugenommen. Und als vor einigen Tagen eine Gruppe Demonstranten vor dem Präsidentenpalast aufmarschierte und lauthals die Übernahme des Militärs forderte, sah dies nicht nach einem spontanen Protest aus; vielmehr wirkte es auf manche wie der sorgfältig vorbereitete Auftakt zur erneuten Machtübernahme des Militärs. Es gab daraufhin große Gegendemonstrationen für mehr Demokratie.

Schon im September hatte es den Versuch eines Staatsstreiches gegeben, damals steckten angeblich Kräfte aus dem Umfeld des früheren Diktators Omar al-Baschir dahinter. General Burhan betonte nun, dass er am Ziel von Wahlen festhalte, er wolle dafür sorgen, dass das Volk seine Ziele erreiche. Die Machtübernahme begründete er damit, dass sich zwischen den Fraktionen des Übergangssystems ein Kampf entwickelt habe, der den Frieden und die Sicherheit des Landes gefährde.

Drei Jahrzehnte lang war der Sudan von einer Clique um den Diktator Omar al-Baschir beherrscht, sie hat viele Konflikte angefacht, ihr werden Kriegsverbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt. Nachdem zivile Proteste 2018 und 2019 die Entmachtung Baschirs angestoßen hatten, teilten sich Fraktionen des Militärs die Macht mit zivilen Politikern. Doch beide Seiten beanspruchen, die Hüter jener Revolution zu sein, die das verbrecherische Regime zu Fall brachte. Misstrauen und Rivalitäten erschwerten die Zusammenarbeit.

Die hybride Regierung sollte den Weg für eine weitere Demokratisierung ebnen, mit Wahlen 2023. Gleichzeitig arbeitete sie daran, Khartum aus der internationalen Isolation zu befreien und Wirtschaftshilfe zu mobilisieren, um die ökonomische Misere in den Griff zu bekommen. Millionen Sudanesen sind ohne Job und leben in elenden Verhältnissen, steigende Preise für Lebensmittel verschlimmern ihre Not.

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