Süddeutsche Zeitung

Steuerbetrüger-Daten:Der Zweck und die Mittel

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Auszahlen würde es sich, doch darf ein Staat Diebe belohnen? Finanzminister Schäuble muss entscheiden, ob die Regierung für Daten von 1500 mutmaßlichen Steuersündern zahlt. Spekulationen zufolge stammen sie von der britischen Bank HSBC - doch Regierungskreise bestreiten das.

Hans Leyendecker

Im Mittelalter bezeichnete das Wort Zweck den Nagel, an dem die Zielscheibe aufgehängt ist, und auch deshalb ist das Gebäude des Finanzamts Wuppertal-Barmen ein Zweckbau. Im sechsten Stock sitzt Peter B., der Leiter der Steuerfahndung; ein 60 Jahre alter Westfale, der ebenso kauzig wie unerschrocken und sehr tüchtig ist. Die Steuerermittlungen in Sachen Dresdner Bank beispielsweise sind mit seinem Namen ebenso verbunden wie die Liechtenstein-Ermittlungen.

Wuppertal ist - gemeinsam mit der Bochumer Staatsanwaltschaft - die Steuerzentrale des Verfahrens gegen Kunden der Vaduzer LGT-Treuhand, in das auch der zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilte frühere Post-Chef Klaus Zumwinkel verstrickt war.

Und möglicherweise wird Wuppertal das fiskalische Zentrum eines neuen Großverfahrens gegen Steuerflüchtlinge werden. Ende vergangenen Jahres soll ein Datenhändler den dortigen Beamten nach einigen Umwegen eine Datensammlung mit den Namen von 1500 deutschen Kapitalanlegern mit Schweizer Konten angeboten haben.

Treffen mit dem Unbekannten

Er verlangte für die geheimen Bankdaten 2,5 Millionen Euro und bot Arbeitsproben an. Die Steuerfahnder baten ihn um eine Namensliste, möglichst von Personen aus Nordrhein-Westfalen, auf deren Steuerakten sie zugreifen können. Er reichte fünf Fälle ein - lauter Treffer.

Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, wird in jedem dieser fünf Fälle eine Steuernachzahlung von jeweils mindestens einer Million Euro fällig. Der Leiter der Wuppertaler Steuerfahndung soll sich mit dem der Öffentlichkeit unbekannten Anbieter getroffen haben.

Peter B. kennt sich in sensiblen Angelegenheiten aus. Im August 2006 war er auf Vermittlung des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Offenburg und Straßburg mit dem früheren LGT-Angestellten Heinrich Kieber zusammengetroffen, der am Ende ein Paket mit mehr als tausend Namen deutscher LGT-Kunden für 4,6 Millionen Euro verkaufte. Kiebers Informantenhonorar wurde mit dem pauschalen Satz von zehn Prozent versteuert. Somit blieben dem Zuträger 4,2 Millionen Euro.

Wird es jetzt wieder so laufen wie im Liechtenstein-Fall? Drei Ministerien, das Kanzleramt und etliche Staatssekretäre mischten damals mit. Diesmal läuft der Fall politisch kleiner an. Die Wuppertaler Beamten haben die zuständige Oberfinanzdirektion und die Steuerabteilung des Düsseldorfer Finanzministeriums alarmiert. Die schaltete das von Wolfgang Schäuble geführte Bundesfinanzministerium ein.

Normalerweise entscheidet die Landesfinanzbehörde über den Ankauf sensibler Daten. Aber angesichts der Millionensumme und weil die vermuteten Steuersünder mit Sicherheit aus mehreren Bundesländern stammen, wird es keinen Alleingang Nordrhein-Westfalens geben. Entweder zahlt Berlin, oder die Schweizer Daten landen nicht beim deutschen Fiskus. Erst danach könnte darüber gefeilscht werden, wie stark sich welches Bundesland am Kaufpreis beteiligt.

Lesen Sie weiter, welche diplomatischen Verwicklungen es wegen eines ähnlichen Deals zwischen Frankreich und der Schweiz gab.

Der Schweiz-Fall wirft die alten Fragen neu auf: Heiligt der Zweck die Mittel? Darf ein Staat einen Dieb belohnen? Ermutigt ein solcher Handel potentielle Diebe, sich auch Daten zu beschaffen? Dass der Ankauf ein Geschäft wäre, steht jetzt schon fest.

Zwar ist die Schätzung, die Schweiz-Unterlagen würden rund hundert Millionen Euro Steuernachzahlungen in die Staatskasse spülen, pure Spekulation. Niemand weiß, wie viele der Schweizer Bankkunden ihre Kapitalerträge dem deutschen Fiskus korrekt gemeldet haben.

Unklar ist auch, wie viele Selbstanzeigen es geben wird, bevor in Berlin eine Entscheidung über den eventuellen Kauf fällt, und auch dann würde es noch dauern, bis Ermittlungen eingeleitet werden könnten. Aber eine lohnende Investition wäre es allemal.

In dem durch Kieber ausgelösten Großverfahren, das von den Wuppertaler Steuerfahndern und der EK (Einsatzkommission) Liechtenstein II fiskalisch begleitet und für die Bochumer Staatsanwaltschaft aufgearbeitet wird, sind bislang knapp 180 Millionen Euro Steuern nachgezahlt worden. Hinzu kommen Geldauflagen von knapp zwanzig Millionen Euro. Hunderte von Verfahren sind noch nicht erledigt.

Eine wilde Spekulation

Der Schweiz-Fall ist auch deshalb eine Besonderheit, weil der Name der betroffenen Schweizer Bank noch nicht bekannt ist. Nur einige Steuerfüchse kennen ihn, aber sie schweigen. Je länger er geheimgehalten werden kann, umso mehr Selbstanzeigen von Kunden vieler Banken wird es hageln.

Es gibt eine interessante, wilde Spekulation. Sie ist nicht durch Belege gedeckt, niemand steht für sie öffentlich mit seinem Namen, aber die Geschichte ist dennoch interessant. Sie geht so: Der frühere Informatik-Spezialist der Genfer HSBC Private Bank, Herve Falciani, hatte Zugang zu mehr als 22.000 Konten. Er kopierte viele Daten, vermutlich war er auch als Hacker im Einsatz.

Ein Teil seines Schatzes, genauer gesagt die Namen von 2953 französischen Steuerflüchtlingen, landeten vor mehr als einem Jahr bei den französischen Finanzbehörden. Anfang 2009 gab er den Code für die Entschlüsselung preis. Nach Angaben des zuständigen französischen Finanzministers Eric Woerth konnten mit Hilfe der Datensammlung insgesamt 500 Millionen Euro Steuernachzahlungen eingesammelt werden.

Falcianis Fall wurde zum Politikum, das die Beziehungen zwischen der Schweiz und Frankreich belastete. Erst in diesem Monat bekam die Schweizer Bundesanwaltschaft die gestohlenen Daten in Kopie von den Franzosen überreicht. Der 38 Jahre alte Falciani, der eine Komplizin hatte, soll mit verschiedenen Staaten Kontakt gesucht haben. Die Tageszeitung Le Monde, die Einblick in ein gerichtliches Untersuchungsdossier hatte, berichtete vor etlichen Monaten, der IT-Mann und die Frau an seiner Seite hätten dem BND eine E-Mail-Botschaft geschickt.

Eine hochinteressante Geschichte, doch aus Berliner Regierungskreisen war am Wochenende dazu zu vernehmen, die HSBC sei in den aktuellen Schweizer Fall nicht verwickelt.

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Quelle:
SZ vom 01.02.2010
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