Süddeutsche Zeitung

Trauerstaatsakt für Wolfgang Schäuble:Verneigung vor einem "vollendeten Staatsdiener"

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Ein halbes Jahrhundert hat der im Dezember verstorbene Politiker dem Parlament angehört, 400 Reden gehalten: Nun würdigen Politiker und andere Wegbegleiter im Bundestag Wolfgang Schäuble. Auch Angela Merkel und Frankreichs Präsident sind dabei.

Von Boris Hermann und Henrike Roßbach, Berlin

Jetzt müssen hier andere für ihn sprechen. Wolfgang Schäuble, der dem Deutschen Bundestag mehr als ein halbes Jahrhundert lang ununterbrochen angehörte, hat an diesem Pult in den Plenarsälen von Bonn und Berlin über 400 Reden gehalten. In der laufenden Wahlperiode, die seine 14. und nun unvollendet letzte war, hielt er sich für seine Verhältnisse allerdings vornehm zurück. In seiner Doppelrolle als Elder Statesman des Bundestags und als Hinterbänkler der Unionsfraktion, wollte Schäuble sich nur noch in ganz besonderen Momenten zu Wort zu melden. Aus Anlass seines 50. Dienstjubiläums als Parlamentarier im Dezember 2022 sah er eine solche Gelegenheit gekommen. Seine damalige Ansprache zum Zustand der Demokratie wird jetzt als seine Abschiedsrede in die Geschichte des Bundestags eingehen.

An diesem Montag hätte Schäuble, wäre er noch am Leben, womöglich noch einmal eine Ausnahme gemacht. Den 61. Jahrestag des Élysée-Vertrags zwischen Deutschland und Frankreich hätte er gewiss als würdigen Anlass für eine Schäuble-Rede betrachtet. Stattdessen sprechen nun Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Unionsfraktionschef Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über ihn. Der Tag der deutsch-französischen Freundschaft: Natürlich ist das auch ein würdiger Anlass für einen Trauerstaatsakt zu Ehren des Rekordparlamentariers Wolfgang Schäuble. "Das hätte ihm sicher gefallen", sagt Bas in ihrer Begrüßungsrede im Bundestag, der diesmal bis auf den letzten Platz gefüllt ist.

Die Vertreter aller Verfassungsorgane sind eingeladen, dazu zahlreiche deutsche und internationale Ehrengäste sowie die Angehörigen des Verstorbenen. Schäubles Witwe Ingeborg hakt sich bei Frank-Walter Steinmeier unter und wird vom Bundespräsidenten persönlich zu ihrem Platz in der ersten Reihe geführt. Etwas weiter links, gleich neben Macron, sitzt auch Bundeskanzler Olaf Scholz. Dessen Vorgängerin Angela Merkel wird auf der Ehrentribüne neben dem früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck platziert.

Gestorben ist Wolfgang Schäuble bereits am 26. Dezember im Alter von 81 Jahren, zu Hause in Offenburg, im Kreise seiner Familie. Dort, im Badischen, wo Schäuble 14 Mal als Direktkandidat in den Bundestag gewählt worden ist, haben sie schon am 5. Januar Abschied von ihm genommen, zu den Rednern bei der Trauerfeier gehörte auch schon damals Friedrich Merz.

Der einzige Kanzler, zu dessen Zeit er nicht im Parlament war, ist Adenauer

Der CDU-Vorsitzende war der einzige Abgeordnete, den Schäuble in seinen letzten Jahren im Bundestag noch duzte. An diesem Montagnachmittag sitzt Merz sichtlich bewegt im Plenarsaal und hört zu, wie die Bundestagspräsidentin ihren Vorgänger als einen "vollendeten Staatsdiener" würdigt. Zum Schluss, sagt Bas, sei Schäuble "zu einer Instanz geworden - über Parteigrenzen hinweg". Mit Ausnahme von Konrad Adenauer habe er "mit allen deutschen Bundeskanzlern im Parlament" gesessen. Niemandem habe er nach dem Mund geredet, "er sprach aus Überzeugung - auch um Widerspruch zu provozieren und in der Sache voranzukommen", sagt Bas. Und: "Wolfgang Schäuble war ein feinsinniger Mensch."

Ein Dreiklang: "Deutsche Einheit, Berlin, Europa."

Dann ist Friedrich Merz an der Reihe. Er sagt, Schäuble hinterlasse einen "Dreiklang seines politischen Vermächtnisses". Und dieser Dreiklang laute: "Deutsche Einheit, Berlin, Europa." Merz spricht hier aber nicht nur als Laudator, sondern als persönlicher Freund, thematisiert ausführlich Schäubles große Leidenschaft für den Fußball. Er erzählt, wie der elfjährige Wolfgang vor dem Radio das WM-Finale von 1954 verfolgt habe und auch beim zwischenzeitlichen Rückstand der deutschen Weltmeister-Elf noch an das Wunder von Bern glaubte. Schon damals sei Schäuble einer gewesen, der niemals aufgeben wollte, sagt Merz.

Fast alle Ehrengäste des Tages haben sich bereits zuvor zu einem Gedenkgottesdienst im Berliner Dom versammelt, um sich endgültig von Schäuble zu verabschieden - darunter, anderes als bei der Trauerfeier in Offenburg, auch Altkanzlerin Merkel, mit der Schäuble eine wechselvolle Geschichte verbindet.

Emmanuel Macron dagegen, Präsident der laizistischen Französischen Republik, tritt erst im Bundestag in Erscheinung. Dass er bei diesem Staatsakt spricht, war der ausdrückliche Wunsch Schäubles. Vergangene Woche hatte Bas gesagt, diese "besondere Geste" würdige die "Lebensleistung eines großen Europäers" und unterstreiche die Verdienste Schäubles für die deutsch-französische Freundschaft.

In der Tat pflegte Schäuble eine besonders enge Beziehung zu Frankreich. Seine Heimat Offenburg liegt gewissermaßen in Sichtweite des linken Rheinufers und gehörte in der ersten Hälfte seines Lebens zur französischen Besatzungszone. Schon als junger Abgeordneter gründete Schäuble in den Siebzigern einen badisch-elsässischen Gesprächskreis; als erster Bundestagspräsident sprach er 2018 vor der Assemblée nationale, 2019 leitete er in Paris die konstituierende Sitzung der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung.

Der französische Präsident würdigt diese Freundschaft dann auch nicht zuletzt damit, dass er seine Trauerrede größtenteils auf Deutsch hält. "Deutschland hat einen Staatsmann verloren. Europa hat eine Säule verloren. Frankreich hat einen Freund verloren", sagt Macron. Schäubles Wunsch, einen Franzosen hier im Bundestag sprechen zu lassen, sage viel aus über das Vertrauen zwischen den beiden Ländern. Macron beschreibt das Verhältnis des Kriegskindes Schäuble zu Frankreich als ein Verhältnis, das über die Jahrzehnte Etappen durchlaufen habe - und damit stellvertretend stehe für die Aussöhnung zwischen den beiden lange verfeindeten Nachbarn. "Heute stehe ich im Halbrund des Deutschen Bundestags, um den Lebensweg von Wolfgang Schäuble zu ehren", sagt Macron. Er bedankt sich aber auch dafür, dass Bundespräsident Steinmeier an seiner Seite gewesen sei, als neulich in Paris die Trauerfeier für Jacques Delors stattfand. Der frühere EU-Kommissionspräsident war einen Tag nach Schäuble gestorben. "Zwei Leben als Bindeglieder", sagt Macron.

Und er schließt dann mit dem Ausruf: "Es lebe die deutsch-französische Freundschaft!" Dafür gibt es Standing Ovations, was bei solch einer Trauerfeier eher ungewöhnlich ist. Aber auch im Bezug auf diese Macron-Rede dürfte gelten, was Bas bereits über den Termin für den Staatsakt sagte: Das hätte Schäuble gefallen.

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