Süddeutsche Zeitung

Sri Lanka:Wider das Vergessen

Lesezeit: 3 min

Die Regierung in Colombo blockiert die Aufarbeitung mutmaßlicher Kriegsverbrechen, nun soll eine Resolution im UN-Menschrechtsrat das Land verpflichten, Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Doch wie groß sind die Chancen in einem Staat, dessen Führung Straflosigkeit etabliert?

Von Arne Perras, München

Die Familien der Vermissten auf Sri Lanka finden keinen Frieden. Und die Angst, ihren Schmerz offen zu zeigen, macht für sie alles noch schlimmer. Nicht alle Betroffenen wagen es, gegen das Vergessen zu demonstrieren, so wie es einige Angehörige kürzlich wieder in Mullaitivu im Nordosten der Insel taten. Die Regierung in Colombo sieht so etwas nicht gerne. Die Familien der Opfer hissten schwarze Flaggen. "Wir haben Gerichte angerufen, aber keine Gerechtigkeit erfahren", klagte Mariyasuresh Easwary, Vorsitzende eines Opferverbandes, im Newsportal Tamil Guardian. Die Wunden des 26-jährigen Bürgerkrieges auf Sri Lanka, der etwa 100 000 Menschenleben forderte, sie heilen nicht.

Mehrheitlich ist die Insel von Singhalesen bewohnt, viele von ihnen haben den Sieg über die separatistischen Rebellen der Tamil Tigers 2009 als Rettung ihres Staates gefeiert. Für sie sind die Sieger auf dem Schlachtfeld Nationalhelden. Viele wollen, nach all dem Leid, das Menschen auf allen Seiten des Konflikts widerfuhr, nach vorne blicken. Aber geht das überhaupt, wenn man gleichzeitig einer ethnischen Minderheit die Aufarbeitung von Kriegsgräueln verweigert? Solche Fragen stehen im Raum, wenn der UN-Menschenrechtsrat in diesen Tagen um eine neue Resolution zur Vergangenheitsbewältigung in Sri Lanka ringt.

Die "No Fire Zone" wurde zur Todesfalle

Ansätze zur Aufarbeitung hat es immer wieder gegeben, sie sind versandet. Versuche, ein Tribunal mit internationaler Beteiligung anzustoßen, scheiterten am Widerstand nationalistischer singhalesischer Kreise, die die Regierung dominieren. Dennoch gibt es eine größere Zahl an Staaten, die sich damit nicht abfinden wollen.

Von allen Lügen, die während des Konflikts verbreitet wurden, galt dieses Versprechen in der Endphase des Krieges als besonders folgenreich: Die Regierung hatte für Zivilisten sogenannte "No Fire Zones" ausgewiesen; Gebiete, in denen sich Menschen sammeln und in Sicherheit wähnen konnten, während Truppen der Regierung gegen Rebellen vorrückten. Das Terrain verwandelte sich zur Todesfalle, als Zehntausende Zivilisten im Frühjahr 2009 dem Granathagel der Regierungsoffensive zum Opfer fielen.

Wehrlose Menschen wurden in jenen Wochen gefoltert, vergewaltigt, erschossen. Man nannte das eingekesselte Gebiet "the cage". Für jene, die im sogenannten Käfig ausharrten, gab es kein Entkommen, wie der Film "No Fire Zone" von Callum Macrae schon 2013 zeigte. Nach allem, was die UN an Zeugnissen zusammengetragen haben, mündete die Offensive in eines der größten Massaker der jüngeren asiatischen Geschichte, mit Zehntausenden Opfern. Nur dass die Regierung das alles nicht sehen und hören will.

Die Hochkommissarin für Menschenrechte in Genf, Michelle Bachelet, geht mit Colombo hart ins Gericht. Sie beklagt, dass Kritiker eingeschüchtert und verfolgt würden. Außerdem stellt sie fest, dass die gegenwärtige Regierung versuche, Ermittlungen und Prozesse zu stoppen, um zu verhindern, dass vergangene Verbrechen juristisch aufgearbeitet werden.

Stattdessen feiert Colombo die Helden des Schlachtfelds, obwohl die Vereinten Nationen viele Belege gesammelt haben, die den Verdacht auf Kriegsverbrechen erhärten. Zu den Staaten, die sich für eine neue Sri-Lanka-Resolution im UN-Menschrechtsrat starkmachen, zählt auch Deutschland. In Berlin schätzt man die Menschenrechtslage auf der Insel ähnlich wie Bachelet ein und befürwortet eine "Zweigleisigkeit". Um Menschenrechte in Gegenwart und Zukunft schützen zu können, müsse man die Vergangenheit aufarbeiten.

Die Resolution soll die Regierung in Colombo darauf verpflichten, Täter zur Verantwortung zu ziehen und den Opfern der Gewalt Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dazu gehört es, Täter zu identifizieren und Beweise zu sichern. Ein entsprechender Entwurf ist eingebracht. Doch der Widerstand in Colombo gegen eine Zusammenarbeit mit den UN dürfte nie größer gewesen sein.

Für John Fischer, Direktor von Human Rights Watch, geht es auch um die Signalwirkung. "Wenn die Täter in Sri Lanka nicht zur Verantwortung gezogen werden, dann sendet dies eine Botschaft an autokratische Anführer in aller Welt aus, dass sie selbst bei Verbrechen, die nach internationalem Recht zu ahnden sind, einfach davonlaufen können." Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen würde sich immer stärker durchsetzen, fürchtet er.

Viele Zeugnisse sprechen dafür, dass sowohl tamilische Rebellen als auch Regierungstruppen grausame Verbrechen verübt haben. Den Tamil Tigers war jedes noch so brutale Mittel recht, um für einen eigenen Staat zu kämpfen. In der Endphase, als das Militär die Oberhand gewann, starben überwiegend Tamilen, viele wurden von separatistischen Kämpfern als menschliche Schutzschilde missbraucht, die Aufständischen verschanzten sich hinter Zivilisten ihrer eigenen Ethnie. Sie wollten eine internationale Intervention erzwingen, die nie kam. Und die Befehlshaber des Militärs zeigten keine Hemmungen, als sie die Rebellen in die Enge trieben und schließlich auslöschten.

Der heutige Präsident war damals Verteidigungsminister, offenbar fürchtet er selbst die Justiz

Der heutige Präsident war damals Verteidigungsminister, sein Bruder Präsident. Offenbar befürchten beide, selbst in den Sog juristischer Untersuchungen über die blutige Vergangenheit zu geraten. Die Anführer der Tamil Tigers sind alle tot. Generäle der Regierung haben nach dem erneuten Wahlsieg des Rajapaksa-Clans 2019 weiter Karriere gemacht.

Den Bericht Bachelets hat Colombo als böswillige Propaganda abgetan. Bei der Online-Debatte am Donnerstag im Menschenrechtsrat in Genf zeigte sich ein tiefer Riss. Rajapaksa kann darauf zählen, dass zumindest eine Reihe von Ländern, etwa Iran, Russland und China, gegen die Resolution stimmen, es ist unklar, ob eine Mehrheit zustande kommt, wenn im März abgestimmt wird. Human-Rights-Watch-Direktor Fisher drängt auf eine glaubwürdige Resolution: "Es darf nicht passieren, dass die sri-lankische Regierung sagen kann: Lasst uns einfach weitermachen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5220117
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.