Süddeutsche Zeitung

Munition für den "Gepard":Schweizer Parteien verabreden Deal zur Weitergabe von Waffen

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Die Ukraine soll doch noch Waffen aus Schweizer Produktion erhalten können. Darauf einigt sich eine knappe Mehrheit einer Nationalratskommission. Entscheiden wird das Parlament.

Von Charlotte Walser, Markus Häfliger, Beni Gafner, Bern

In der Schweizer Debatte zur Freigabe von Waffen und Munition für die Ukraine zeichnet sich ein Ausweg ab: In der zuständigen Parlamentskommission haben FDP und SP einen Kompromiss gefunden, der eine Änderung des Kriegsmaterialgesetzes einleiten könnte. Bisher ist es Ländern vertraglich untersagt, von der Schweiz erworbene Waffen weiterzugeben.

Der Kompromissvorschlag sieht nun vor, dass die Nichtwiederausfuhr-Erklärung für Schweizer Waffen auf fünf Jahre befristet werden kann, wenn ein Land dieselben Werte wie die Schweiz vertritt und über ein ähnliches Exportkontrollregime verfügt.

Befindet sich das Bestimmungsland im Krieg, ist die Weitergabe nur dann erlaubt, wenn das Land von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch macht. Entweder der UN-Sicherheitsrat oder die UN-Generalversammlung (mit Zweidrittelmehrheit) muss festgestellt haben, dass das Land völkerrechtswidrig angegriffen wurde.

Das notwendige Gesetz kommt nicht vor 2024

Sind die nun verabredeten Bedingungen erfüllt, kann der Bundesrat Nichtwiederausfuhr-Erklärungen, die mehr als fünf Jahre vor der Gesetzesänderung unterzeichnet worden sind, für aufgehoben erklären. Mit anderen Worten: Deutschland könnte Munition für den Gepard-Flugabwehrpanzer, das es vor Jahren in der Schweiz gekauft hat, an die Ukraine liefern, sobald das neue Gesetz in Kraft tritt.

Die Entscheidung im Ausschuss fiel äußerst knapp mit zwölf zu zehn Stimmen bei drei Enthaltungen. Dem Vernehmen nach stimmten FDP, SP und die Mitte mehrheitlich zu. Dagegen stellten sich SVP und Grüne, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Der Vorschlag muss nun von einer zweiten Parlamentskommission gebilligt werden, ehe die eigentliche Gesetzgebungsarbeit beginnt. Stimmt das Parlament - vermutlich bis Sommer - zu, ist noch ein Referendum möglich. Aus heutiger Sicht ist daher unwahrscheinlich, dass die Gesetzesänderung vor Anfang 2024 in Kraft treten kann.

Im Parlament wird die Sache noch zu Auseinandersetzungen führen: Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hatte bereits beschlossen, jegliche Änderung des Kriegsmaterialgesetzes abzulehnen, die Waffenlieferungen an die Ukraine ermöglichen würde. Auch die Grünen sprachen sich an ihrer letzten Delegiertenversammlung mit großer Mehrheit gegen eine Lockerung der Regeln aus.

Bislang verweist die Regierung auf das Gleichbehandlungsgebot der Kriegsparteien

Die Regierung hat bisher sämtliche Gesuche um Weitergabe von Schweizer Waffen abgelehnt. Dabei stellte sie sich auf den Standpunkt, eine Bewilligung würde nicht nur das Kriegsmaterialgesetz verletzen, sondern auch das neutralitätsrechtliche Gleichbehandlungsgebot der Kriegsparteien.

Darauf weisen auch Völkerrechtsexperten hin. Aus Sicht von Marco Sassòli, Professor an der Universität Genf, geht es in dieser Frage um den Kern des internationalen Neutralitätsrechts. Das Haager Abkommen von 1907 verpflichtet die Schweiz, kriegsführende Länder gleich zu behandeln.

Im Grunde - so das Argument der Kritiker - müsste die Schweiz dann ein Gesuch um die Wiederausfuhr von Waffen an Russland ebenfalls bewilligen. Zu einem anderen Schluss kommt der Völkerrechtsexperte Thomas Cottier. Aus seiner Sicht könnte der Bundesrat sogar ohne Änderung des Kriegsmaterialgesetzes die Weitergabe von Waffen ermöglichen.

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