Süddeutsche Zeitung

Rassismus-Studie:Seehofer schlägt den nächsten Haken

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Die SPD verkündet einen Durchbruch: Es soll sie nun endlich geben, die vielfach eingeforderte Studie über Rassismus in der Polizei. Doch der Bundesinnenminister hat schon wieder was dagegen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Er bewegt sich, wenn auch nicht in die jeweils gewünschte Richtung. So lässt sich die Haltung des Bundesinnenministers zur Erforschung von Rassismus bei der Polizei umreißen. Der Druck auf Horst Seehofer wächst, sich dem Phänomen systematisch zu widmen. Doch das Gelände wird immer unübersichtlicher.

Vier Modelle für Studien über Rassismus sind inzwischen im Gespräch, und klar ist nur, was Horst Seehofer nicht will: eine Studie, die sich gezielt rassistischen Weltbildern bei der Polizei widmet. Dabei war eine solche Studie im Juni dieses Jahres von Seehofers eigenem Pressesprecher angekündigt worden.

Damals war in den USA der Afroamerikaner George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz umgekommen. SPD-Chefin Saskia Esken wies auf "latenten Rassismus" auch in deutschen Sicherheitsbehörden hin. Außerdem hatte die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) Deutschland aufgefordert, Racial Profiling bei der Polizei zu untersuchen. Gemeint: international verbotene Polizeikontrollen, deren Anlass keine Hinweise auf Straftaten sind, sondern lediglich das Aussehen des oder der Kontrollierten.

Mitte Juni kündigte Seehofers Sprecher an, man befinde sich mit dem Justizministerium "in der konzeptionellen Entwicklung" einer Studie über Racial Profiling. Drei Wochen später musste er den Rückzug antreten: Der Bundesinnenminister sehe "keinen Bedarf" für eine solche Untersuchung. Man habe ihn wohl falsch verstanden.

Der Druck auf Seehofer aber wuchs weiter. In Nordrhein-Westfalen wird seit September gegen Polizistinnen und Polizisten ermittelt, die Hitlerbilder und eine Fotomontage von einem Flüchtling in einer Gaskammer ausgetauscht haben sollen. In Berlin, Hessen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen kamen ähnliche Verdachtsfälle ans Licht.

Opposition fürchtet Umkehrung der Vorzeichen

Ein Rückzug ohne Gesichtsverlust war für Seehofer spätestens jetzt nicht mehr möglich. Er zeigte sich bestürzt, lehnte eine Rassismus-Studie über die Polizei aber weiter ab - und lenkte das Augenmerk auf alternative Schauplätze. Migrantenorganisationen hätten eine Untersuchung zu Diskriminierung bei der Wohnungs- und Jobsuche, in Betrieben und Behörden gefordert. Seehofer sei bereit, eine solche gesamtgesellschaftliche Studie - Modell Nummer zwei - in Auftrag zu geben. Polizisten sollen darin auch vorkommen, aber eben nicht in der Hauptsache.

Ein weiteres Feld, auf das Seehofer verwies: Der Lagebericht des Bundesamts für Verfassungsschutz, wonach zwischen Januar 2017 und März dieses Jahres 377 nachgewiesene und mutmaßliche Fälle von Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden aktenkundig wurden. Die Statistik sei wenig aussagekräftig, kritisierte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Gerade nach dem März 2020 seien schwerwiegende Vorfälle bei der Polizei bekannt geworden. Zudem handle es sich nur um bereits bekannte Fälle.

Der Bundesinnenminister aber schlug da schon den nächsten Haken und präsentierte das dritte Modell einer Rassismus-Studie. Er wolle untersuchen lassen, mit welcher Einstellung Polizisten ihre Berufswahl treffen und welche Erfahrungen sie später mit Gewalt und Hass machten.

Der innenpolitische Sprecher der Union im Bundestag, Mathias Middelberg (CDU), hält das für eine gute Idee. "Wir müssen die Gründe für die ausufernde Gewalt gegen Polizeibeamte erkennen und bekämpfen", sagte er der SZ. Außerdem könne die Untersuchung dazu beitragen, "dass unsere Polizei auch in Zukunft als Freund und Helfer wahrgenommen wird".

In der Opposition dagegen befürchten einige die Umkehrung der Vorzeichen. "Natürlich macht es Sinn, auch den beruflichen Alltag der Polizei in den Blick zu nehmen", sagte Irene Mihalic. Die innenpolitische Sprecherin der Grünenfraktion war selbst Polizistin und weiß, dass im Berufsalltag Übergriffe zunehmen. Extremistische Einstellungen rechtfertige das aber nicht. "Nur, weil jemand einen schweren Polizeialltag hat, erklärt das nicht, dass er den Nationalsozialismus verherrlicht."

Statt nur freiwillige Aussagen einzuholen, müsse von unabhängigen Wissenschaftlern analysiert werden, wie Polizisten in schwierigen Situationen agierten und welchen "Unterwanderungsstrategien von rechts" sie ausgesetzt seien.

Zweifel in der SPD

Auch in der SPD werden Zweifel laut, was genau das Bundesinnenministerium plant - und was eigentlich mit der SPD vereinbart wurde. Nach einem Treffen im Kanzleramt am Montag hatte Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) erklärt, man habe sich mit Seehofer auf "eine Studie" geeinigt.

Nur Stunden später stellte Seehofer klar, dass er das, was die SPD gern mit ihm vereinbart hätte, weiter ablehnt: eine Studie über Rassismus bei der Polizei. Vielmehr plane er eine gesamtgesellschaftliche Untersuchung plus eine Studie zu Gewalterfahrungen von Polizisten. Was Seehofer wolle, "entspricht nicht dem, was vereinbart wurde", twitterte SPD-Chefin Esken sogleich.

Da hatte Seehofer bereits Modell vier ins Gespräch gebracht. Bevor es losgehe, müsse man erst einmal "in einer Vorstudie zusammenführen", welche Rassismus-Studien es in Deutschland schon gebe. Mit anderen Worten: Es dauert noch.

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