Süddeutsche Zeitung

Präsidentschaftswahl:Frankreichs Politiker suchen die Mitte

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In Frankreich ist man entweder rechts oder links, dazwischen gibt es wenig. Jetzt aber haben Sozialisten wie Konservative erkannt: Nur wer die Mitte gewinnt, kann den Front National noch aufhalten.

Von Christian Wernicke, Paris

Der Ort gilt Franzosen als Wüste, seit Jahr und Tag gedeiht dort wenig: Die politische Mitte steht in Frankreich nicht im Rufe, ein Terrain großer Konzepte oder steiler Karrieren zu sein. Die Pariser Politik gehorcht, im Parlament und im Präsidentenpalast, den Regeln hergebrachter Demokratie: Man ist rechts oder links, Sozialist oder Konservativer. Es gilt: "Wir" gegen "die da". Wer zwischen beide Hälften gerät, ist einsam.

Doch siehe da, die Wüste lebt. Plötzlich, fünf Monate vor der Präsidentschaftswahl, zieht und drängt es alle zur Mitte, Jung wie Alt. Der Novize Emmanuel Macron verkündet, er wolle "jenseits von rechts und links" das politische System sprengen und als parteiloser Kandidat den Élyséepalast erobern. Ebenso driftet Alain Juppé zur Mitte; im Kampf um die Spitzenkandidatur der Republikaner umgarnt der 71-jährige Veteran enttäuschte Linke. Auch die regierenden Sozialisten werden demnächst ihr Heil irgendwo nahe der Mitte suchen: Entweder tritt Amtsinhaber François Hollande wieder an, der mittelmäßige Amtsinhaber. Oder er überlässt das Feld seinem Premierminister Manuel Valls, dem mutmaßlich rechtesten Linken im ganzen Land.

Der Reformstau ist bekannt, doch eine Seite blockiert die andere

Das weckt auf den ersten Blick Hoffnungen. Falls Frankreichs Politiker tatsächlich ausbrechen aus ihrem Lagerdenken, gewännen sie neue Freiheit für Kompromisse. Der Staat verschlingt mehr als die Hälfte des Wohlstands der Nation und schafft dennoch weniger Gerechtigkeit und produziert mehr Arbeitslose als andere westliche Demokratien. Sozialisten wie Konservative, die beiden etablierten Lager, wissen seit zehn, fünfzehn Jahren um den Reformstau - aber beide wetterten wider besseres Wissen gegen Veränderungen, nur weil der Gegner regierte. Das schürte die Politikverdrossenheit - und machte den Front National zu Frankreichs stärkster Partei.

Der Aufstieg der Rechtspopulisten ist ein Grund dafür, dass jetzt alle - Macron und Juppé, Hollande wie Valls - nach ihrer eigenen Facette der Mitte suchen. In Frankreich ist ein Drei-Parteien-System entstanden, also muss man umdenken, sich neu platzieren. Doch das bedeutet noch keinen Sieg der Vernunft. Denn erstens ist nicht jede Mitte golden: Auch Marine Le Pen will weismachen, ihre europhobe Bewegung habe das Rechts-links-Denken überwunden. Und zweitens ist längst nicht ausgemacht, dass am 7. Mai 2017 die demokratische Mitte gewinnt.

Im finalen Duell um die Macht wird sicher Marine Le Pen stehen

Weder Hollande noch Valls traut heute irgendeine Umfrage zu, dass sie es bis in die Stichwahl um die Präsidentschaft schaffen. Bei den Republikanern ist Alain Juppé, der Versöhner, nur einer von drei Favoriten. Nicolas Sarkozy, der Ex-Präsident, schürt Ressentiments gegen Muslime, giftet gegen Linke und Libertäre. Derweil propagiert François Fillon, Sarkozys früherer Premierminister, ein neoliberales Wirtschaftsprogramm, das schon jetzt Gewerkschaften und linke Katholiken geistig auf die Barrikaden treibt. Beide, Sarkozy wie Fillon, verprellen heute all jene, die sie morgen noch brauchen.

So viel kann heute als sicher gelten: Im finalen Duell um die Macht würde ihnen Marine Le Pen gegenüberstehen, die FN-Chefin. Ohne die Stimmen Millionen linker Wähler kann kein Republikaner gewinnen. Die wahre Wüste, sie droht einer Republik ohne Mitte - mit einer Madame Le Pen als Präsidentin.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2016
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