Süddeutsche Zeitung

Polen und die EU:Schon die Grundrechte sind Warschau zu viel

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Bis 2027 könnte das Land 76,5 Milliarden Euro aus dem europäischen Kohäsionsfonds erhalten. Dazu müsste die PiS-Regierung allerdings die Standards von Minderheitenrechten und Gleichberechtigung anerkennen.

Von Viktoria Großmann, München

Polen muss möglicherweise auf viel Geld von der EU verzichten. Weil das Land nicht in allen Punkten die EU-Grundrechtecharta einhält, droht die EU-Kommission, Mittel aus dem Kohäsionsfonds des EU-Haushalts zurückzuhalten. Die EU-Länder verpflichten sich, Vereinen und Institutionen gerechten und gleichberechtigten Zugang zu den Fonds zu gewähren. Polen hat daran aber offensichtlich kein Interesse. Das Land habe selbst anerkannt, dass es die Grundrechtecharta nicht einhält, heißt es aus Brüssel.

Die rechtspopulistische polnische Regierung hatte zwei Vereinbarungen mit der EU im Juni gefeiert wie große Erfolge. Zunächst hatte die EU-Kommission Polens Plan für die Verwendung der Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds genehmigt. Was sowohl von polnischen Oppositionspolitikern wie Europaparlamentariern heftig kritisiert wurde. Dabei geht es um insgesamt 36 Milliarden Euro, von denen bislang allerdings nichts ausgezahlt wurde, weil die EU die Bestrebungen der polnischen Regierung zu einer unabhängigen Justiz zurückzukehren, als unzureichend ablehnt.

Präsident Duda vergleicht die EU mit der Sowjetunion

Kurz darauf unterzeichneten die Kommission und die polnische Regierung die Partnerschaftsvereinbarung für den Kohäsionsfonds. Dabei geht es um die Haushaltsperiode 2021 bis 2027, insgesamt 76,5 Milliarden Euro könnte Polen in diesem Zeitraum erhalten. Die Mittel sind gedacht für den Ausbau des Schienennetzes und des Nahverkehrs, für Meeresschutz, den Übergang zu klimaneutraler Wirtschaft in den Kohleregionen und auch für soziale Projekte.

Besonders wichtig ist der Kohäsionsfonds für Kommunen und lokale Verwaltungen, die mithilfe der EU in ihren Orten die Straßen für Touristen ausbauen oder Migranten auf den einheimischen Arbeitsmarkt vorbereiten können. In Polen beklagen viele Städte und Woiwodschaften, die nicht von Angehörigen der Regierungsparteien geführt werden, bei der Verteilung der Mittel zu kurz zu kommen. Zumal die PiS-Regierung das Land immer stärker zentralisiert.

Während nun verschiedene Banker und Ökonomen davor warnen, das Ausbleiben des EU-Geldes könne eine Rezession beschleunigen und verschlimmern, reagieren Regierung und Präsident wie üblich: Sie weisen alles zurück oder beschuldigen andere. Justizminister Zbigniew Ziobro von der rechtsextremen Koalitionspartei Solidarna Polska machte umgehend Deutschland und Oppositionsführer Donald Tusk verantwortlich. Tusk wolle eine Regierung, "die sich Berlin und Brüssel unterwirft".

Präsident Andrzej Duda wehrte sich dagegen, "dass sich die europäischen Institutionen weiterhin in die polnische Politik einmischen", und verglich die EU mit der Sowjetunion. Im Streit um den Kohäsionsfonds geht es nicht um Polens Justizsystem oder die Rechtsstaatskriterien, sondern um Minderheitenrechte und gleichberechtigte Teilhabe. Geld fließt nur, wenn die Grundrechtecharta eingehalten wird, das ist eine der Voraussetzungen.

In den Partnerschaftsvereinbarungen der Staaten mit der EU-Kommission heißt es dazu: "Bei der Ausarbeitung ihrer Programme müssen die Mitgliedstaaten bewerten, ob die grundlegenden Voraussetzungen erfüllt sind."

Brüssel lässt Polen noch etwas Zeit, auf Europa zuzugehen

Offenbar hat Polen selbst recht offen der EU mitgeteilt, dass die Voraussetzungen eben nicht erfüllt sind. Die derzeitige polnische Regierung teile grundsätzlich nicht die Positionen der EU-Kommission darüber, was den Staaten vorgegeben werden darf, und beharre auf ihren Positionen, so heißt es aus Kommissionskreisen. Derzeit hielten 24 von 27 EU-Staaten die Standards der Charta ein, Polen sei also nicht allein mit diesem Problem. Doch so eindeutig liegen die Positionen wohl nur hier auseinander.

Polen hat nun noch Zeit, auf die EU zuzugehen. Es gebe Gespräche darüber, wie die Richtlinien erfüllt werden könnten, heißt es aus Brüssel.

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