Süddeutsche Zeitung

Olaf Scholz:Immer schön ruhig bleiben

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Vor dem EU-Sondergipfel: Kanzler Scholz erklärt sich im Bundestag zu Migrationspolitik und Waffenlieferungen an die Ukraine.

Von Daniel Brössler, Berlin

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Friedrich Merz und Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki haben, versteht man den Bundeskanzler an diesem sonnigen Mittag in Berlin richtig, etwas gemeinsam. Sie dürfen sich angesprochen fühlen. Einen Tag vor dem EU-Sondergipfel in Brüssel, zu dem der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij erwartet wird, spricht Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung darüber, was aus seiner Sicht der Sache der überfallenen Ukraine nützt und was ihr schadet. Vom ersten Kriegstag an gelte: "Der Zusammenhalt innerhalb unserer Bündnisse und Allianzen ist unser höchstes Gut." Das bedeute, Entscheidungen vertraulich vorzubereiten "und dann erst kommunizieren". So habe er es mit US-Präsident Joe Biden bei den Kampfpanzern gemacht.

Was der Geschlossenheit hingegen schade, sei "ein öffentlicher Überbietungswettbewerb nach dem Motto: Kampfpanzer, U-Boote, Flugzeuge - wer fordert noch mehr?" Womit Scholz, ohne sie beim Namen zu nennen, bei Strack-Zimmermann, Merz und Morawiecki wäre: "Was schadet, sind markige innenpolitische Statements und Kritik an Partnern und Verbündeten auf offener Bühne."

Die FDP-Verteidigungspolitikerin, der CDU-Chef und Polens nationalkonservativer Regierungschefs bilden gewissermaßen das Dreigestirn des Scholz'schen Missvergnügens. Auf ihre Weise haben alle drei versucht, den Kanzler zu treiben, ihn zu schnellerer, entschlossener Waffenhilfe für die Ukraine zu zwingen. Scholz nutzt seinen Auftritt für die nicht gänzlich neue Klarstellung, dass er derlei nicht mit sich machen lasse - "denn jede Dissonanz, jede Spekulation über mögliche Interessensunterschiede nutzt einzig und allein Putin und seiner Propaganda".

Merz bemängelt, große Teile Zeitenwende fänden nur auf dem Papier statt

Friedrich Merz, als Oppositionsführer der Mann mit dem ersten Wort nach der Regierungserklärung, kann da nicht anders, als zu kontern. Er wolle, sagt Merz über die militärische Unterstützung der Ukraine, "nur hoffen, dass wir nicht eines Tages aus der Rückschau sagen müssen: Das war zu wenig und das war zu spät. Lassen Sie uns hoffen, dass wir dies nicht sagen müssen." Nicht zu übersehen sei doch: "Große Teile der so genannten Zeitenwende finden in Deutschland bisher weitgehend auf dem Papier statt".

Es stimme, dass Deutschland der Ukraine moderne Luftabwehr geliefert habe, mit der Panzerlieferung habe es aber bis vor Kurzem gezögert. Instandsetzung und Lieferung werde noch Wochen und Monate beanspruchen, die Ausbildung beginne erst jetzt - "wohlgemerkt einige Tage, bevor wir mit der nächsten Offensive der russischen Streitkräfte rechnen müssen".

Es ist das schon eigespielte Wechselspiel zwischen Kanzler und Oppositionsführer. Merz hält Scholz Trägheit vor. Scholz präsentiert sich als der Mann mit "Umsicht und der Nervenstärke, die es braucht, um abgewogen zu entscheiden über Krieg und Frieden". Darauf könnten die Bürgerinnen und Bürger fest vertrauen. "Dafür stehe ich mit meinem Wort", sagt er.

Ein bisschen unübersichtlich wird es nur, als Merz schärfer als mit dem Kanzler mit der Außenministerin ins Gericht geht. "In hohem Maße verstörend" seien Worte von Annalena Baerbock, die in Straßburg auf Englisch gesagt hatte, dass "wir einen Krieg gegen Russland führen". Sie dürfe sich nun nicht wundern, dass der "Satz rasende Verbreitung findet in den russischen Medien und damit Teil wird der russischen Propaganda". Merz weiß, dass der Lapsus trotz aller Klarstellungen den Kanzler geärgert haben dürfte - weshalb es aus Oppositionssicht nicht schaden kann, noch einmal in der Wunde zu bohren.

Scholz lobt die erfolgreiche Aufnahme von einer Million ukrainischer Kriegsflüchtlinge

Relativ klare Verhältnisse gibt es dann wieder bei einem zentralen Thema des EU-Gipfels - der Migration. "Nach Jahren des Stillstands ist Fortschritt möglich in der europäischen Asylpolitik", erklärt Scholz. Er spricht über eine "wirksamere Kontrolle unserer Außengrenzen - auch mithilfe von Frontex". Immer mehr Länder in Europa seien aber auch "auf Arbeitskräfte-Zuwanderung angewiesen - gesteuert, human und in Einklang mit dem Recht".

Scholz redet in dem Zusammenhang auch über die erfolgreiche Aufnahme von einer Million ukrainischer Kriegsflüchtlinge, lobt die Leistung von Gemeinden und Ehrenamtlichen und begrüßt "ausdrücklich" den Flüchtlings-Gipfel, den Innenministerin Nancy Faeser am 16. Februar ausrichten will. Auch hier setzt Scholz offenkundig auf Nervenstärke. Nüchtern spricht er von "anstehenden Herausforderungen". Vom Alarm aus den Kommunen lässt er sich nicht in Aufregung versetzen. Der Bund greife, erinnert Scholz, den Ländern und Gemeinden "mit Milliarden unter die Arme, um die Ankommenden gut zu versorgen".

Zusätzlich zu einer Million Ukrainer kämen nun seit Herbst "vermehrt wieder Flüchtlinge und Asylbewerber aus Syrien, aus dem Irak , aus Afghanistan und aus weiteren Ländern des Mittleren und Nahen Ostens", entgegnet Merz. In vielen Städten und Landkreisen seien die Aufnahmekapazitäten mittlerweile erschöpft. Wenn nun selbst grüne Bürgermeister lautstark um Hilfe riefen, könne sich der Kanzler nicht mit dem Verweis auf einen zweiten Flüchtlingsgipfel der Innenministerin begnügen, die als Spitzenkandidatin der SPD in Hessen "mit dem Kopf offensichtlich schon mehr in Wiesbaden als in Berlin unterwegs" sei.

"Herr Bundeskanzler, das ist jetzt eine Aufgabe für Sie, für Sie persönlich", ruft Merz. Scholz müsse zu einem Gipfel mit "konkreten Maßnahmen" einladen. Scholz tut an dieser Stelle, wozu er an diesem Tag entschlossen ist. Er bleibt ganz ruhig.

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