Süddeutsche Zeitung

Österreich:KZ-Überlebende bekommen recht

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Oberster Gerichtshof in Wien revidiert frühere Urteile, die zugunsten eines rechtsextremen Magazins ausgefallen waren.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Man muss die unglaubliche Vorgeschichte kennen, um die Tragweite dessen zu verstehen, was jetzt vom Obersten Gerichtshof in Wien entschieden worden ist. Im Sommer 2015 war in der rechtsextremen Monatszeitschrift Aula ein Artikel des Autors Manfred Duswald erschienen, in dem 1945 befreite Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen als "Landplage" und "Massenmörder" bezeichnet wurden, die raubend, plündernd, mordend und schändend durch das Land gezogen seien, das unter der "Befreiung gelitten" habe. Also: Die Überlebenden hätten gemordet, stand da, nicht: KZ-Opfer seien ermordet worden.

Der grüne Abgeordnete Harald Walser erstattete Anzeige wegen "Wiederbetätigung", die Staatsanwaltschaft Graz stellte das Verfahren ein. Mit einer Begründung, die fast genauso skandalös war wie der widerwärtige Text: Es sei nachvollziehbar, dass die Freilassung mehrerer Tausend Menschen eine Belästigung für die betroffenen Gebiete dargestellt habe; zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass dabei strafbare Handlungen begangen worden sind. Das alles fand vor sechs, nicht vor sechzig Jahren statt.

Erst der Menschenrechtsgerichtshof hat sich vor die Opfer gestellt

Das Urteil galt, wie der Text in der rechtsextremen Zeitschrift, als Skandal, aber das war nur der Beginn eines juristischen Marathons. Holocaust-Überlebende und ihre Nachkommen verklagten die Zeitschrift daraufhin wegen Ehrenbeleidigung und Kreditschädigung sowie auf Unterlassung.

In dem zivilrechtlichen Verfahren bekamen die Kläger recht; die Aula durfte nicht wiederholen, was als "Beleidigung" galt, und musste Schadenersatz zahlen. Doch nur ein Jahr später wiederholte das Blatt in einem anderen Kontext die Sätze von der mordenden und raubenden Landplage aus Mauthausen.

Eine medienrechtliche Klage wurde vom Grazer Landesgericht für Strafsachen mit der Begründung abgelehnt, im Mai 1945 seien etwa 20 000 Menschen aus dem Konzentrationslager Mauthausen entlassen worden, und diffamierende Äußerungen gegenüber diesem Kollektiv könnten nicht zwingend als Diffamierung seiner einzelnen Mitglieder gewertet werden.

Eine Berufung wurde mit der Begründung abgewiesen, der Text von 2016 sei ja nur eine Wiederholung von 2015.

Es brauchte den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), um 2019 die Republik Österreich wegen Verletzung der Menschenrechtskonvention und des Versagens der Republik, die Opfer vor Diffamierungen zu schützen, zu verurteilen.

Geklagt hatten, im Namen ihrer Leidensgenossen, elf KZ-Überlebende, angeführt von Aba Lewit - weshalb das Verfahren als "Lewit gegen Österreich" in die Geschichte einging. Und weshalb nun schließlich das Jahr 2021 ins Bild rückt.

Das rechtsextreme Magazin ist inzwischen eingestellt

Mittlerweile sind viele der Überlebenden aus Mauthausen, welche die unsäglichen Aula-Artikel hinnehmen mussten, gestorben, auch Aba Lewit ist darunter, er starb im November vergangenen Jahres. Aber einige hochbetagte Kläger leben noch, und sie haben nun Genugtuung erlangt.

Denn der Oberste Gerichtshof (OGH) in Wien entschied am Freitag erneut über die Frage, ob man Menschen, die den Nationalsozialismus in einem Konzentrationslager überstanden haben, als "Landplage" und "Massenmörder" bezeichnen darf.

Und der OGH stellte fest, dass Landesgericht und Oberlandesgericht ihre gesetzliche Pflicht zur Begründung von Entscheidungen verletzt hätten. Sie hätten prüfen müssen, wie groß der Kreis der Mauthausen-Überlebenden 2016 noch war - und ob nicht doch eine Identifikation des Artikel-Verfassers mit den diffamierenden Äußerungen gegeben gewesen sei.

Eva Blimlinger, Sprecherin für Vergangenheitspolitik und Rechtsextremismus bei den Grünen, die den Protest und die Klagen gegen die hanebüchenen Urteile unterstützt hatten, freute sich über die "Gerechtigkeit für KZ-Überlebende". Medienrechtlerin und Anwältin Maria Windhager, die Aba Lewit und die anderen Überlebenden vertreten hatte, bedauerte, dass sich trotz des Erfolgs vor Gericht in dem medienrechtlichen Verfahren keine Schadenersatzansprüche ergäben; hier müsse eine Gesetzeslücke geschlossen werden. Immerhin: Die rechtsextreme Aula gibt es nicht mehr.

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