Süddeutsche Zeitung

Nord-Stream-Sprengung:Deutsche Ermittler ließen verdächtiges Schiff durchsuchen

Lesezeit: 3 Min.

Sechs Menschen, eine Yacht, von Rostock aus in See gestochen: Medienberichten zufolge führt die Spur des Anschlags zu einer proukrainischen Gruppe. In Kiew dementiert man eine Beteiligung. Die Bundesregierung mahnt zur Vorsicht, Moskau reagiert mit Genugtuung.

Bei ihren Ermittlungen zu den Explosionen an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 hat die Bundesanwaltschaft im Januar ein verdächtiges Schiff durchsuchen lassen. Es bestehe der Verdacht, dass es zum Transport von Sprengsätzen verwendet worden sein könnte, teilte die Karlsruher Behörde auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.

Die Auswertung der sichergestellten Spuren und Gegenstände dauere an. "Die Identität der Täter und deren Tatmotive sind Gegenstand der laufenden Ermittlungen", hieß es weiter. "Belastbare Aussagen hierzu, insbesondere zur Frage einer staatlichen Steuerung, können derzeit nicht getroffen werden." Ein Tatverdacht gegen Mitarbeiter des deutschen Unternehmens, dass das Schiff vermietet hat, bestehe nicht.

Die beiden Gaspipelines, die durch die Ostsee vom russischen Wyborg bis nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern verlaufen, waren im September 2022 durch mutmaßlich absichtlich ausgelöste Explosionen schwer beschädigt worden.

Was gibt es bei den Nord-Stream-Untersuchungen sonst noch Neues?

Zuvor hatte die New York Times unter Berufung auf anonyme Quellen in Washington berichtet, die USA hätten Indizien dafür zusammengetragen, dass eine proukrainische Gruppe hinter den Explosionen stecke. Unklar bleibt, um welche Art von Hinweisen es sich handelt und wie beweiskräftig sie tatsächlich sind. Mit den Ermittlungen vertraute Personen haben dem Bericht zufolge jedoch deutlich gemacht, dass es keine Belege für eine Beteiligung des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij oder seiner engen Mitarbeiter gebe.

Neben der New York Times hatten auch ARD, SWR und Zeit gemeinsame Recherchen zu der Sabotage veröffentlicht. Den Berichten zufolge fanden die Ermittler bislang zwar keine Beweise dafür, wer die Zerstörung in Auftrag gab. Sie machten demnach aber ein Boot aus, das für das Unterfangen in der Ostsee verwendet worden sein könnte.

Die fragliche Yacht sei von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet worden, welche "offenbar zwei Ukrainern gehört", hieß es. Zudem habe laut Ermittlungen ein Team, bestehend aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin, den Sprengstoff zu den Tatorten gebracht. Welchen Nationalitäten die Personen angehörten, sei unklar, hieß es weiter. Sie hätten offenbar gefälschte Pässe verwendet.

Die Behörden hätten herausgefunden, dass das Boot wohl vor der Pipeline-Explosion am 6. September in Rostock aufgebrochen sei. Danach hätten sie es noch in Wieck am Darß im Landkreis Vorpommern-Rügen und an der dänischen Insel Christiansø, nordöstlich von Bornholm ausfindig gemacht.

Was sagt die Ukraine?

Ein Berater aus dem ukrainischen Präsidentenbüro stritt jede Beteiligung ab. Mychajlo Podoljak sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Regierung in Kiew sei "absolut nicht verwickelt" in den mutmaßlichen Sabotage-Akt. Auf Twitter schrieb er, die Ukraine habe auch keine Informationen über proukrainische Sabotage-Gruppen. Mitglieder der Bundesregierung äußerten sich zurückhaltend.

Was sagen deutsche und europäische Politiker?

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sagte im Deutschlandfunk, er habe die Rechercheergebnisse mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Es gelte aber abzuwarten, was sich davon wirklich bestätige.

Auf die Frage nach Auswirkungen auf die westliche Unterstützung für die Ukraine sagte Pistorius, es könne sich genauso gut um eine "False-Flag-Aktion" handeln, um proukrainischen Gruppierungen etwas in die Schuhe zu schieben. "Die Wahrscheinlichkeit für das eine wie für das andere ist gleichermaßen hoch", erklärte Pistorius. "Es hilft uns nicht, auf der Grundlage von solchen Recherchen, die bestimmt mühsam und akribisch gemacht worden sind, jetzt darüber nachzudenken, welche Auswirkungen das auf unsere Unterstützung für die Ukraine hätte."

Auch Außenministerin Annalena Baerbock gab sich zurückhaltend. "Natürlich verfolgen wir alle Berichte und auch alle Erkenntnisse, die es von unterschiedlichen Akteuren gibt, ganz, ganz intensiv", sagte die Grünen-Politikerin. Zunächst müssten aber die zuständigen Behörden ihre Ermittlungen zu Ende führen, sie verwies auf den Generalbundesanwalt. Dies sei nötig, damit die Regierung aufgrund dieser Erkenntnisse Urteile treffen könne und keine voreiligen Schlüsse ziehe.

Baerbock erinnerte daran, dass Schweden, Dänemark und Deutschland vor wenigen Tagen den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen darüber informiert haben, dass die Untersuchungen noch laufen und man noch keine Erkenntnisse geben könne. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, er wolle keine "keine endgültigen Schlussfolgerungen ziehen", solange die Ermittlungen laufen.

Was sagt Russland?

In Moskau wurden die Medienberichte mit Genugtuung aufgenommen und mit neuen Vorwürfen an den Westen verknüpft. Vertreter Russlands behaupteten, die Enthüllungen seien ein Versuch, von angeblichen wahren Drahtziehern in offiziellen Regierungspositionen abzulenken. "Wir können und wollen nicht an die Unparteilichkeit der Schlussfolgerungen der US-Geheimdienste glauben", erklärte die russische Botschaft in den Vereinigten Staaten auf der Nachrichtenplattform Telegram. Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums äußerte sich ähnlich. Moskau macht für den Anschlag die Geheimdienste der USA und Großbritanniens verantwortlich. Kremlsprecher Dmitrij Peskow beklagte, dass sich Russland weiterhin nicht an den Ermittlungen beteiligen dürfe.

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