Süddeutsche Zeitung

Türkei:Erdoğans Russlandreise - Symbol der Abkehr von den USA

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Von Stefan Kornelius

Wenn sich der türkische und der russische Präsident an diesem Dienstag die Hände reichen, dann soll dieses Bild der Eintracht vor allem jenes Land treffen, das sich bisher als wichtigster Verbündeter der Türkei sah: die USA.

Seit dem Putschversuch vor gut drei Wochen hat Recep Tayyip Erdoğan keinen Tag verstreichen lassen, ohne den vermeintlichen Hintermann des Coups und seinen angeblichen Schutzbeauftragten anzuprangern, den Prediger Fethullah Gülen und US-Präsident Barack Obama.

Die Reise nach Sankt Petersburg, die erste ins Ausland seit der Putschnacht, ist also an Symbolkraft kaum zu überbieten. Erdoğan besucht nicht etwa einen Nato-Verbündeten oder das Hauptquartier der Allianz, in der die Türkei seit immerhin 1952 Mitglied ist. Er reist zu jener Großmacht, mit der er noch im November nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs an der türkisch-syrischen Grenze beinahe selbst in einen militärischen Konflikt geraten wäre.

Im Juni dieses Jahres, noch vor dem Putschversuch, entschloss sich Erdoğan zu einem radikalen Strategiewechsel, nachdem die zähe Diplomatie mit der EU über die Flüchtlinge und die Rügen der USA an seinem Kurdenkrieg offenbar zu sehr seine Gestaltungsfantasien beengt hatten.

Binnen kurzer Zeit schloss er Frieden mit zwei Staatsführern, die durch einen vergleichbar autoritären und robusten Führungsstil auffallen: dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu und Russlands Präsidenten Wladimir Putin. In Windeseile wurden Sanktionen abgewickelt, die Russland und die Türkei nach dem Jet-Abschuss wechselseitig verhängt hatten.

Erdoğan entschuldigte sich bei den Familien der getöteten russischen Piloten und stellte die Bestrafung eines Verdächtigen in Aussicht, der einen der Piloten nach dessen Fallschirmabsprung am Boden getötet haben soll. Bisher hatte er immer behauptet, die Beweislage für den Vorfall sei zu dünn.

In Washington wird das Bäumchen-wechsel-dich-Spiel mit großer Sorge betrachtet. Vom viel gepriesenen strategischen Partner Türkei ist nicht mehr viel Partnerschaft zu erwarten, und Erdoğans strategische Ziele liegen im Nebel.

Bissige Äußerungen aus Ankara

Der eigens nach Ankara entsandte US-Generalstabschef Joseph Dunford wurde von Erdoğan mit der Unterstellung auf die Heimreise geschickt, dass der Plan für den Putschversuch "außerhalb" der Türkei, sprich in den USA, geschrieben worden sei. "Was für strategische Partner sind wir denn, wenn ihr immer noch dem einem Schutz bietet, dessen Auslieferung ich verlangt habe", fragte Erdoğan bissig.

Obama sah sich genötigt, in einer Pressekonferenz die Unterstellungen zurückzuweisen und vor einer Verschlechterung der Beziehungen zu warnen. Die US-Regierung ist zerrissen: Zwar gab es in der Geschichte durchaus undemokratische Mitglieder der Nato, aber in der Regel haben sich die internen Zustände gebessert - eine wichtige Voraussetzung für eine Mitgliedschaft. Noch nie aber hat sich ein Bündnispartner derart rasch von Grundregeln des Rechtsstaats verabschiedet.

Erdoğans Reise nach Russland soll also dem eigenen Militär wie den Bündnispartnern zeigen, dass alleine der Präsident über die auswärtigen Beziehungen entscheidet. Offenbar ist Erdoğan bereit, seine Wahlfreiheit zu demonstrieren bis zur Schmerzgrenze.

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SZ vom 09.08.2016
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