Süddeutsche Zeitung

Warschauer Aufstand im Zweiten Weltkrieg:Gedenken an die dunkelsten Tage

Lesezeit: 3 min

Von Daniel Brössler, Warschau

Es ist ein warmer, ein schöner Frühabend in der polnischen Hauptstadt. Aus dem Fenster seiner Limousine sieht der deutsche Außenminister Menschen, die flanieren und in den Straßencafés der Altstadt die Sonne genießen. Heiko Maas ist mit seinem polnischen Kollegen Jacek Czaputowicz auf dem Weg zum Plac Krasińskich, wo der Bischof in seiner Predigt gleich vom "Dunkel der Okkupation" sprechen wird.

Das ist der Kontrast einer Reise, auf der Heiko Maas in den Abgrund deutscher Geschichte blickt. Cazputowicz hat Maas zu den Feierlichkeiten anlässlich des 75. Jahrestages des Beginns des Warschauer Aufstandes eingeladen. So sitzt der Minister beim Gottesdienst und der Gedenkfeier in der ersten Reihe. Am Mahnmal für den Aufstand und die 200 000 in seinem Verlauf von den Nazis ermordeten Warschauer reiht er sich schließlich in die lange Schlange von Honoratioren ein, die angeführt wird von Veteranen und dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda. Als er an der Reihe ist, überbringt Maas einen Kranz mit den deutschen Farben und neigt den Kopf.

Ihn erfülle die Einladung "ganz persönlich mit Dankbarkeit und auch mit Demut", sagt er. Er wolle "der ungeheuren Widerstandskraft der Polinnen und Polen" gedenken, die sie sich zwischen August und Oktober 1944 den deutschen Besatzern entgegen gestellt hätten. Maas zieht hier eine Parallele zum Widerstand des 20. Juli, dessen vor wenigen Tagen in Deutschland gedacht wurde. "Wenn ich mir anschaue, dass das damals sehr wenige gewesen sind und wie viele sich hier in Warschau Hitler entgegen gestellt haben, dann ist das etwas, das in Deutschland vielleicht noch viel mehr ins Bewusstsein gerückt werden sollte", sagt Maas.

Maas erlebt eine Geschichtsstunde

Das ist ein Gedanke, den sein Gastgeber Czaputowicz aufgreift, indem er eine Initiative von Bundestagsabgeordneten für ein Berliner Mahnmal im Gedenken an die polnischen Kriegsopfer begrüßt. "Aus unserer Sicht sollte das ein Ort der Erinnerung, der Reflexion sein, aber auch der Bildung", sagt er. Den Polen ist schmerzlich bewusst, wie wenig viele Deutsche über den Warschauer Aufstand und die Leiden im Zweiten Weltkrieg wissen.

Was Maas auf dem Plac Krasińskich erlebt, ist denn auch eine Geschichtsstunde. In den vorderen Reihen sitzen Veteranen; viele Menschen tragen rot-weiße Armbinden der Heimatarmee des polnischen Widerstands. Pfadfinder reichen kaltes Wasser. "Polen ist Heldentum und Mut bis zum Tod nicht fremd", sagt Präsident Duda. Er und weitere Redner schildern den Horror des NS-Terrors.

Dieser Horror wird Maas begleiten auf dieser Reise. Auch an diesem Donnerstag am Denkmal für die Opfer des Massakers von Wola. Im Stadtteil Wola exekutierte die SS zwischen 5. und 12. August 50 000 Menschen, Angehörige der polnischen Heimatarmee und Zivilisten. Die Deutschen stürmten auch zwei Krankenhäuser, ermordeten Patienten wie Pfleger. Überliefert ist ein Funkgespräch des SS-Gruppenführers Heinz Reinefarth mit dem Oberbefehlshaber der 9. Armee, Nikolaus von Vormann. "Was soll ich mit den Zivilisten machen? Ich habe weniger Munition als Gefangene", sagte der SS-Mann.

Die Frage der Reparationen ist in Polen noch nicht vom Tisch

Reinefarth kam in US- Kriegsgefangenschaft. Ein polnisches Auslieferungsersuchen gegen den "Schlächter von Warschau" scheiterte. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er 1949 reingewaschen. Reinefath wurde Bürgermeister von Westerland auf Sylt, für Jahre. Vor einem deutschen Gericht musste er sich nie verantworten. Eine der Geschichten, die in Polen bekannter sind als in Deutschland. Es sei "unverständlich und beschämend, dass wir innerhalb Deutschlands nicht selten Unkenntnis über die Ausmaße der Tragödie und ihre heutige Symbolkraft begegnen", beklagt der grüne Abgeordnete Manuel Sarrazin, der Maas begleitet. Einen Beitrag, könnte ein Gedenkort in Berlin leisten. Maas will bekräftigen, dass Deutschland sich seiner Verantwortung bewusst ist, wenngleich er die Frage möglicher Reparationen erneut juristisch abgeschlossen nennt. Czaputowicz sieht das anders: "Wir haben keinen Grund, dieses Thema zu scheuen." Im Parlament würden Berechnungen der Kriegsschäden angestellt, auf der Basis werde man bald reden können.

Er sei hier, "weil ich die Toten ehren und die Familien der Toten und Verletzten, weil ich das polnische Volk um Vergebung bitten möchte", wird Maas am Donnerstag in seiner Rede im Museum für den Aufstand sagen. Und: "Ich schäme mich für das, was Ihrem Land von Deutschen und in deutschem Namen angetan wurde."

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SZ vom 01.08.2019
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