Süddeutsche Zeitung

Landwirtschaft:Rettung aus dem Osten

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Ab Mitte Juni dürfen Erntehelfer wieder unbegrenzt einreisen. Ministerin Klöckner weist darauf hin, dass auf den deutschen Feldern ohne etwa 300 000 Osteuropäer kaum mehr etwas geht.

Von Thomas Hummel

Die Coronakrise bewirkt, dass bislang eher vernachlässigte Berufsgruppen eine ganz neue Wertschätzung erhalten. Zumindest verbal. So bemerkt das Land gerade, wie sehr es in manchen Bereichen von osteuropäischen Arbeitsmigranten abhängigist. In der Landwirtschaft etwa fehlen Zehntausende Saisonarbeiter aus Rumänien, Bulgarien oder Polen für die Feldarbeit. Bundesministerin Julia Klöckner (CDU) erklärte an diesem Mittwoch, dass die Landwirte "auf diese professionelle Hilfe" angewiesen seien.

Weil zum 15. Juni die Reisebeschränkungen für Länder der Europäischen Union fallen, sollen von da an auch die Erntehelfer wieder ins Land strömen. Das verkündete die Ministerin für Ernährung und Landwirtschaft in Berlin und fügte an: "Lebensmittel wachsen nicht von selbst. Und sie stehen auch nicht von selbst im Regal." Es bedürfe helfender Hände, die säen, pflegen und ernten. Ohne etwa 300 000 Saisonarbeiter würde es eng werden für die Landwirte, den Arbeitsaufwand zu stemmen, sagte Klöckner.

Als im März die Wirtschaft wegen der Ausbreitung des Coronavirus runtergefahren wurde, verloren Tausende der sogenannten Wanderarbeiter ihre Jobs. Allein mehrere Hunderttausend Rumänen strömten aus ganz Westeuropa zurück in die Heimat, wo sie unfreundlich empfangen wurden, weil man Angst hatte, dass sie das Virus mit ins Land brachten.

In Deutschland indes fehlten plötzlich die Arbeiter, auch in der Landwirtschaft, die mit dem beginnenden Frühling gerade anlief. Die Not war so groß, dass sich die Bundesregierung entschloss, für April und Mai insgesamt 80 000 Arbeiter aus Osteuropa ins Land zu lassen.

Dieses Kontingent wurde allerdings nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft. Bis Anfang Juni reisten nur knapp 39 000 Saisonarbeiter ein. Klöckner glaubt zu wissen, dass die vorgeschriebene Einreise per Flugzeug vielen zu teuer war. Zudem wollten wohl auch viele Osteuropäer erst einmal abwarten, wie sich die Lage entwickelt. Hilfe für die Bauern kam durch etwa 60 000 Einheimische, die sich über die Internetplattform daslandhilft.de für die Feldarbeit gemeldet hatten. Klöckner sprach von Studenten, beschäftigungslosen Mitarbeitern aus der Gastronomie oder Menschen, die ihr Kurzarbeitergeld aufbessern wollten. Allerdings arbeiten viele davon weder Vollzeit noch besonders lange.

Nun sollen die Osteuropäer zurückkommen, die Auflagen dafür entschärft die Bundesregierung ab Mitte Juni. Die Arbeiter dürfen demnach wieder über den Landweg einreisen. Für den Arbeitsalltag gibt es weiterhin spezielle Corona-Regeln. Als zentralen Aspekt nannte Klöckner die Bildung von kleinen, festen Teams, die in den Unterkünften gemeinsam wohnen und dann auch gemeinsam arbeiten sollen. So werde das Infektionsrisiko minimiert, bei einer Infektion müsse die Gruppe sofort isoliert werden. Die Umsetzung müssten die örtlichen Behörden kontrollieren.

Gerade Gemeinschaftsunterkünfte kamen zuletzt ins Gerede, weil sich unter Mitarbeitern in der Fleischindustrie das Virus teilweise rasant ausbreitete. Die Verhältnisse dort sind vergleichbar mit der Landwirtschaft, auch hier arbeiten viele osteuropäische Saisonarbeiter, für die der Arbeitgeber Wohnräume zur Verfügung stellt. Sozialverbände und Gewerkschaften kritisieren seit Jahren teilweise schlimme Zustände, viel zu enge Zimmer, schlechte Hygienebedingungen, minderwertiges Essen für die Mitarbeiter. Für all das werden ihnen mitunter überzogene Kosten vom Lohn abgezogen. Ministerin Klöckner sprach hier von "schwarzen Schafen". Sie habe keinen Landwirt kennengelernt, der zumindest in Punkto Infektionsschutz nicht erkannt habe, wie wichtig die Umsetzung der Maßnahmen sei. "Denn die Alternative ist, dass wir gar keine Saisonarbeiter zulassen können", sagte die Ministerin.

Bauernpräsident Joachim Rukwied begrüßte die Folgeregelung und betonte: "Hygiene- und Abstandsregeln sind weiterhin strikt einzuhalten." Die Sonderregelung bisher sei sehr wichtig gewesen, um die Versorgungssicherheit mit heimischen Lebensmitteln zu gewährleisten. Auch Klöckner führte aus, welche Konsequenzen ein Fortbleiben der Arbeitsmigranten hätte. Ohnehin können die hiesigen Landwirte bei Gemüse und Obst nur 40 Prozent des Bedarfs der Bevölkerung produzieren. Blieben die Helfer aus, müssten noch mehr Nahrungsmittel importiert werden. Dabei würden gerade in der Coronakrise viele Konsumenten wert auf regionale Lebensmittel legen, dies sei zudem ein Beitrag zur Senkung der klimaschädlichen CO₂-Emmissionen.

Gerade bei Obst und Gemüse gab es in den vergangenen Wochen Preissteigerungen im Handel. Klöckner berichtete, sie sei einige Male gefragt worden, warum zum Beispiel Erdbeeren in diesem Jahr so teuer seien. Sie erklärte das mit dem Anfang des Jahres gestiegenen Mindestlohn für die Beschäftigten, dazu entstünden zusätzliche Kosten durch Infektionsschutz oder bislang durch das Einfliegen der Erntehelfer.

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