Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:Deutschland bremst in Europa

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Bei der Energiewende inszeniert sich die Bundesregierung gerne als Vorreiter. Doch wenn vermeintliche Interessen der Autoindustrie tangiert sind, mauert sie. Gut, dass das Europäische Parlament noch mitreden darf.

Kommentar von Thomas Kirchner

Man möchte nicht tauschen mit deutschen Umweltministerinnen. Sie sind schwer schizophreniegefährdet. In Europa müssen sie dafür kämpfen, dass das von ihnen persönlich erhoffte Ergebnis nicht eintritt. Und wenn sie scheitern, also eigentlich Erfolg haben, weil das von ihnen Erhoffte erreicht wird, dürfen sie sich noch nicht einmal freuen.

So erging es Barbara Hendricks mehrmals in Brüssel, und so widersprüchlich war nun auch die Lage ihrer SPD-Parteikollegin und Nachfolgerin Svenja Schulze in Luxemburg. Öffentlich hatte sie für eine Reduktion der Autoabgase um 40 Prozent oder mehr bis 2030 geworben. Doch der christdemokratische Koalitionspartner bremste - aus Sorge um die deutsche Automobilindustrie - und bestand auf einer Senkung um höchstens 30 Prozent. Ungarn, Bulgarien, Tschechien und der Slowakei war selbst dies noch zu hoch.

Es geht um Existenzielles

Nun sind es 35 Prozent geworden, bezogen auf den von 2021 an geltenden Durchschnittsausstoß einer Fahrzeugflotte von maximal 95 Gramm CO₂ pro Kilometer bei Personenwagen. Die Hersteller sollen zudem belohnt werden, wenn sie möglichst viele Elektro- oder andere Niedrigemissionsautos verkaufen. Beides wird verrechnet: Wer viele Stromer auf die Straße bringt, darf mehr PS-starke Verbrennungsmotoren anbieten. Und für Nischenfirmen wie Jaguar oder Rover werden Ausnahmen verlängert.

Das ist besser als nichts, schließlich lagen die Interessen sehr weit auseinander. Und doch enttäuschend, weil zu wenig, um dem Klimawandel wirksam zu begegnen und die europäischen Ziele der Pariser Klimakonferenz zu erreichen. Nötig und machbar wäre eine Reduktion um 60 Prozent und mehr. Da sind sich die Wissenschaftler inzwischen einig, und das hat sich auch in den Hauptstädten zumindest jener EU-Staaten herumgesprochen, die keine Automobil- oder Zulieferindustrie besitzen. Für die flachen Niederlande etwa geht es um Existenzielles. Sie wären besonders betroffen von einem Anstieg des Meeresspiegels. Dort hat eine Umweltgruppe gerade bewirkt, dass die Regierung gerichtlich zu mehr Klimaschutz gezwungen wird. Wohl auch deshalb konnte Den Haag dem EU-Kompromiss am Ende nicht zustimmen.

Das deutsche Bremsen ist industriepolitisch nicht nötig

Das Murren in Europa über die Umweltpolitik der Bundesregierung wird lauter. Jahrelang hat sie sich als Vorreiterin der Energiewende aufgespielt. Doch wenn es um Maßnahmen gegen den Klimawandel geht, die vermeintliche deutsche Interessen tangieren, blockiert sie. Auch eine Form von Schizophrenie. Und sie ist industriepolitisch nicht einmal nötig. Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese weist darauf hin, dass ein CO₂-Ziel von 40 Prozent nur 12 000 Arbeitsplätze in der Autobranche kosten würde. Gleichzeitig könnten 69 000 neue Jobs entstehen, etwa beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos oder weil Europa weniger abhängig wäre von Erdölimporten.

Wie gut, dass das Europäische Parlament noch mitreden darf. Und zwar mehr als ein Wörtchen. Es wirkt gleichberechtigt an der europäischen Gesetzgebung mit, die Verhandlungen mit den Staaten und der wenig ambitionierten Kommission haben begonnnen. Vielleicht gelingt es den Volksvertretern, den Kompromiss noch in Richtung ökologische Vernunft zu verändern. Die Macht dieser Institution wird immer wieder unterschätzt. Daran kann man vor den Europawahlen nicht oft genug erinnern.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2018
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