Süddeutsche Zeitung

Krieg in Nahost:"Wie ein Pogrom aus der Zeit unserer Großeltern"

Lesezeit: 2 min

Nach und nach gelangt das Ausmaß der Hamas-Gräueltaten beim Angriff auf Israel an die Öffentlichkeit. Im Kibbuz Kfar Aza wurden ganze Familien getötet.

Von Dominik Fürst

Der Kibbuz Kfar Aza liegt im Süden Israels nur etwa zwei Kilometer von der eigentlich streng bewachten und gut gesicherten Grenze zum Gazastreifen entfernt. Am Samstag haben zahlreiche Hamas-Terroristen diese Grenze überwunden, die israelische Bevölkerung an verschiedenen Orten überfallen und mehrere Massaker angerichtet. Eines der schwerwiegendsten verübten die Angreifer in Kfar Aza - ähnlich wie Butscha in der Ukraine könnte der Name noch über Jahre hinaus als Symbol für die beispiellose Brutalität des Überfalls im kollektiven Gedächtnis verankert bleiben.

Bis Dienstagmorgen hatten im Kibbuz die Kämpfe zwischen der israelischen Armee und den Hamas-Terroristen angehalten. Was die Angreifer dort zuvor angerichtet hatten, beschrieb ein Armee-Sprecher so: "Was im Kibbuz Kfar Aza geschehen ist, ist ein Massaker, bei dem Frauen, Kleinkinder und ältere Menschen brutal im Stil des IS abgeschlachtet wurden." Die Terrormiliz IS war in Syrien unter anderem für Enthauptungen ihrer Opfer berüchtigt.

"Es gibt Momente im Leben, in denen das reine Böse auf die Welt losgelassen wird."

Nach den Kämpfen bargen israelische Soldaten aus den zum Teil niedergebrannten Wohnhäusern Leichen, sie verluden schwarze Leichensäcke auf Lastwagen. Internationale Pressevertreter erhielten am Dienstag Zutritt in den Kibbuz, wo noch die Leichen von Hamas-Terroristen auf dem Boden lagen. Sie berichteten von getöteten Israelis, die notdürftig mit Decken verhüllt wurden, und vom Geruch des Todes, der noch in der Luft hänge. Ein israelischer Generalmajor berichtete der New York Times: "Ich habe so etwas noch nie in meinem Leben gesehen. Es ist wie ein Pogrom aus der Zeit unserer Großeltern."

Eine Reporterin des internationalen Fernsehsenders i24 News berichtete mit Helm und Schutzweste aus Kfar Aza darüber, was die Soldaten ihr erzählt hätten: von Babys mit abgetrennten Köpfen und ganzen Familien, die in ihren Betten von der Hamas erschossen worden seien. Während ihres dreiminütigen Beitrags ist in der Nähe eine Explosion zu hören, die die Journalistin zusammenzucken lässt. Zu sehen sind auch israelische Soldaten, die sich gegenseitig Trost spenden.

Kfar Aza war vor dem Angriff eine kleine Gemeinde mit etwa 750 Bewohnern, schreibt die New York Times, mit einem Gemeindehaus und einer Synagoge. Gegründet im Jahr 1951, nur drei Jahre nach der Errichtung des Staates Israel. Das hebräische Wort Kibbuz heißt Zusammenkunft. In solchen Gemeinschaften werden traditionell die Ideale der Gleichberechtigung und des Kollektivs gelebt.

Es gibt noch keine Auskunft darüber, wie viele Menschen in Kfar Aza ermordet wurden. Insgesamt kamen in Israel beim Angriff der Hamas seit Samstag 1200 Menschen ums Leben, mindestens 2700 wurden verletzt. Auf einem Musikfestival ermordeten die Hamas-Terroristen etwa 260 Menschen. Sie nahmen auch Dutzende Geiseln und verschleppten sie in den Gazastreifen. Im Kibbuz Kfar Aza gelten einige der Bewohner nun als vermisst, die Überlebenden wiederum wurden in Hotels im Umland gebracht.

Die im Gazastreifen herrschende Hamas wird von der EU, von den USA und Israel als Terrororganisation eingestuft. US-Präsident Joe Biden verglich sie nach Bekanntwerden der Gräueltaten mit dem IS. "Es gibt Momente im Leben, in denen das reine Böse auf die Welt losgelassen wird", sagte er am Dienstag im Weißen Haus. Israel hat der Hamas Vergeltung für die Anschläge geschworen und fliegt nun seit Samstag Luftangriffe auf Ziele im Gazastreifen. Dabei sind Hunderte Palästinenser getötet worden. Eine mögliche israelische Bodenoffensive könnte in den nächsten Tagen beginnen.

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