Süddeutsche Zeitung

Jemen:Angriff auf die Lebensader

Lesezeit: 3 min

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Regierungstreue Truppen in Jemen haben mit Unterstützung der Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabiens eine Großoffensive gestartet, um die strategisch bedeutende Hafenstadt Hodeidah von den Huthi-Rebellen zurückzuerobern. Die von Riad geführte Militärallianz verspricht sich davon eine Wende in dem mehr als drei Jahre währenden Bürgerkrieg und setzt sich über Warnungen der Vereinten Nationen und internationaler Hilfsorganisationen hinweg, dass ein Angriff Zehntausende Menschen töten und eine Hungersnot auslösen könnte. Bei den Kämpfen der vergangenen Tage sollen bereits Hunderte Milizionäre getötet worden sein. Die fieberhaften Vermittlungsbemühungen des UN-Sonderbeauftragten Martin Griffiths blieben somit zunächst erfolglos. Er hatte versucht, die Offensive noch abzuwenden und den Hafen von Hodeidah unter internationale Kontrolle zu stellen.

Die Emirate hatten den Huthis eine Frist bis Mittwochmorgen gestellt, aus Hodeidah abzuziehen. Danach begannen sie, Dutzende Ziele in der Stadt aus der Luft zu bombardieren und von See und Land mit Artillerie zu beschießen. Der Gouverneur von Hodeidah, Al Hassan Ali Taher, sagte der Süddeutschen Zeitung am Telefon, die Koalition riegele Hodeidah im Süden und Südosten ab und greife Stellungen der Huthis an, erstürme die Stadt aber noch nicht. Den Huthis bleibe eine "angemessene Frist" für einen Abzug durch einen Korridor nach Norden. Taher hielt sich nach seinen eigenen Angaben nahe dem Flughafen am südlichen Stadtrand auf.

Über den Hafen, mit Abstand der größte des Landes, gelangen drei Viertel aller Importe und Hilfsgüter ins Land; Jemen muss 90 Prozent der Lebensmittel einführen. Mehr als 20 der 29 Millionen Jemeniten sind laut den UN für ihr Überleben von Hilfslieferungen abhängig, 8,4 Millionen sind akut von einer Hungersnot bedroht. Sollte der Hafen beschädigt oder zerstört werden oder wegen der Kämpfe blockiert sein, bräche laut Hilfsorganisationen binnen Wochen die Versorgung zusammen.

Riad und Abu Dhabi werfen ihrem regionalen Widersacher Iran vor, über den Hafen Waffen an die Huthis zu liefern und ballistische Raketen, die diese regelmäßig auf Saudi-Arabien feuern. UN-Experten glauben dagegen, dass die Raketen über Landgrenzen geschmuggelt werden; die Militärkoalition kontrolliert einlaufende Schiffe. Zutreffend sind dagegen auch laut europäischen Diplomaten Vorwürfe, die Huthis kassierten Zoll für Waren sowie Hilfslieferungen und versuchten, diese in von ihnen kontrollierte Gebiete zu lenken.

Die Koalition will den Nachschub der Huthis kappen

Der Bürgerkrieg begann im März 2015 im Streit um die Machtverteilung in der neuen Verfassung, die nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Ali Abdullah Saleh drei Jahre zuvor ausgearbeitet werden sollte. Die Huthis, deren Siedlungsgebiete im Norden an Saudi-Arabien grenzen, marschierten auf Sanaa und vertrieben die international anerkannte Regierung von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi aus der Hauptstadt und später aus dem Land.

Die sunnitischen Führungsmächte Saudi-Arabien und die Emirate griffen auf Seiten Hadis ein. Der schiitische Iran unterstützt die Huthis - Zaiditen, die eine eigene Richtung innerhalb des Schiitentums bilden. Riad und Abu Dhabi werfen Teheran vor, die Huthis zu einer Miliz wie der Hisbollah aufbauen zu wollen, die Libanon de facto kontrolliert und auf Befehle der Revolutionsgarden hört. Europäische Diplomaten halten den Einfluss Irans für deutlich geringer und Irans Rolle für begrenzt.

Mit der Rückeroberung Hodeidahs will die Koalition den Nachschub der Huthis kappen und eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen trockenlegen. Sprecher der Koalition versichern, sie würden alles tun, um den Hafen vor Schaden zu bewahren, ebenso der Gouverneur von Hodeidah. Allerdings sei es möglich, dass die Huthis dort Minen legten und ihn vor einer Niederlage unbrauchbar machten. Laut Bewohnern zogen die Huthis Truppen am Hafen und im Stadtzentrum zusammen.

Taher prophezeite, es werde in der Stadt zu einem Aufstand gegen die Huthis kommen, deren Stärke in der gesamten Provinz Hodeidah er auf 3000 bis 4000 Mann schätzt. Seine Truppen, die aus drei rivalisierenden Milizen und sudanesischen Söldnern bestehen, verfügten über 10 000 bis 15 000 Mann an, dazu kommen emiratische Eliteeinheiten, Luftunterstützung und Kriegsschiffe der Koalition, die auch die Schifffahrtsrouten durch die Meerenge Bab al-Mandab sichern sollen.

Taher sagte, er rechne damit, spätestens in zehn Tagen die Kontrolle über Hodeidah zu erlangen. Hilfsorganisationen und die UN fürchten dagegen eine monatelange Belagerung - und dass die 400 000 bis 600 000 Zivilisten in der Stadt bei den Kämpfen zwischen die Fronten geraten. Großbritannien und vor allem die US-Regierung von Präsident Donald Trump hatten ihren Widerstand gegen die Militäroperation jüngst aufgegeben und forderten nun lediglich noch, dass der Zugang für Hilfslieferungen und Importe gewahrt bleiben müsse und alle Seiten mit den UN zusammenarbeiten. Deren Sondergesandter Griffiths hatte gewarnt, ein Angriff könnte seinen Friedensplan zunichte machen, den er in wenigen Tagen dem UN-Sicherheitsrat vorlegen wollte.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4014843
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.06.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.