Süddeutsche Zeitung

Italien:Ein alter Freund in der Not

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Premier Mario Draghi schließt eine neue Großpartnerschaft mit Algerien. Italien will möglichst schnell unabhängig werden von russischem Gas - und riskiert dafür eine neue Abhängigkeit.

Von Oliver Meiler, Rom

In der Not sind alte Freunde ganz dienlich. Italien besinnt sich gerade mit reichlich Inbrunst seiner alten Nähe zu Algerien, in den vergangenen Jahrzehnten wäre sie beinahe in Vergessenheit geraten. Dieses Besinnen hat natürlich etwas mit dem Krieg in der Ukraine zu tun, vor allem mit der großen Abhängigkeit Italiens von russischem Gas. Die Algerien-Reise von Premier Mario Draghi am Montag sollte dazu dienen, das Land bald zum wichtigsten Gaslieferanten der Italiener zu machen - wichtiger noch als Russland. "Algerien ist das neue Russland", schreibt L'Espresso, als wäre es schon passiert. So einfach ist das nicht, doch auf beiden Seiten des Mittelmeers ist man gerade sehr angetan voneinander.

Aber zunächst zu den Zahlen: Italien braucht im Jahr 76 Milliarden Kubikmeter Gas, um seinen Bedarf zu decken. Fürs Heizen, Kochen und für die Produktion von Strom. Etwa vierzig Prozent davon kommen bisher aus Russland. Die Quote ist ab 2001 stetig gestiegen, damals regierte in Rom Silvio Berlusconi, ein erklärter und erst neuerdings "zutiefst enttäuschter" Freund Wladimir Putins. Ziel der italienischen Regierung ist es nun, die russischen Gasimporte möglichst ganz und schnell zu ersetzen: "Zero Russia". Die Zeitung La Repubblica nennt das Ziel einen "moralischen Imperativ". Draghi wird nach Ostern in den Kongo fahren, dann nach Mosambik und Angola, um die Quellen zu diversifizieren. Mit Aserbaidschan, Katar, Nigeria und Indonesien sind Gespräche im Gang. Ein interessanter Partner ist auch Ägypten, wo der italienische Ölkonzern Eni offshore große Gasfelder gefunden haben will und danach bohrt. Doch seit dem Foltermord an dem italienischen Doktoranden Giulio Regeni in Kairo im Januar 2016 liegen die Beziehungen im Argen.

Die Pipeline ist nicht ausgelastet - und Algier ist gerade über Kreuz mit Madrid

Unmittelbar am größten ist das Potenzial für eine Neuausrichtung in Algerien. Von dort kommen jetzt schon etwa 31 Prozent des italienischen Gasbedarfs, rund 21 Milliarden Kubikmeter pro Jahr - und zwar über die Pipeline Transmed. Sie ist 2500 Kilometer lang und verbindet den Süden Algeriens über Tunesien und das Mittelmeer mit dem sizilianischen Mazara del Vallo. Die Leitung, in Betrieb seit 1983, ist auch als "Gasdotto Mattei" bekannt. Enrico Mattei war einst Gründer und langjähriger Manager von Eni, eine mythische Persönlichkeit der italienischen Nachkriegszeit. Als die Algerier sich gegen die französischen Kolonialherren auflehnten, stand er ihnen bei. Posthum wurde er mit höchsten Auszeichnungen geehrt. In Algier gibt es einen Garten, der Mattei gewidmet ist. Die Geschichte schmückt nun wieder die schöne Narration.

Aber im Grunde geht es vor allem ums Jetzt und ums Gas. Italien wünscht sich möglichst bald neun Milliarden Kubikmeter zusätzliches Gas aus Algerien pro Jahr, womöglich sogar zehn oder elf, und bietet im Gegenzug neue Handelsverträge, Investitionen in erneuerbare Energie, auch Rüstung. Die Pipeline ist noch nicht ausgelastet, der Transport wäre also kein Problem. So könnte man die Abhängigkeit von Russland schon mal um ein Drittel verringern. In Rom ist man überzeugt, dass das schon im kommenden Winter möglich wäre. Es gibt da aber zwei Fragen: Hat Algerien überhaupt genügend Kapazitäten? Und ist das Land, mit dem man "kurz-, mittel- und langfristig" zusammenarbeiten will, wie es jetzt heißt, ein politisch verlässlicher Partner?

Algeriens Wirtschaft ist stark abhängig von seinen Gasexporten

Algeriens Gasreserven werden auf 2300 Milliarden Kubikmeter geschätzt. Das macht es zur Nummer 10 weltweit. Fördert Algerien weiterhin dieselben Mengen wie bisher und findet es in näherer Zukunft keine neuen Felder, sind die Reserven in 28 Jahren aufgebraucht. Unmittelbar könnte Algerien den Italienern die Quote ihrer Produktion zukommen lassen, die es bislang nach Spanien bringt, den zweitgrößten Abnehmer nach Italien - nämlich genau zehn Milliarden Kubikmeter. Aus politischen Gründen wäre das Algier ganz recht. Seit nämlich Madrid neulich dem Nachbarland und ewigen Rivalen Marokko de facto ein Anrecht auf die umkämpfte Westsahara zusprach, sind die Beziehungen zwischen Spanien und Algerien an einem Tiefpunkt. Algerien unterstützt seit Jahrzehnten die Befreiungsfront Polisario in der Westsahara und deren Wunsch nach einem Referendum zur Selbstbestimmung. Italien könnte von diesem diplomatischen Zwist nun profitieren.

Mit der politischen Zuverlässigkeit des neuen Hauptpartners ist es aber so eine Sache: Algerien hat seine Wirtschaft dermaßen stark abhängig gemacht von seinen Gasexporten, dass der Staat bei jedem Preisnachlass unter Druck gerät. Wenn nun in Europa die Abkehr von fossilen Brennstoffen beschleunigt wird, ebenfalls als Folge des Kriegs in der Ukraine, steht die Monowirtschaft Algerien vor großen Problemen. Und der neue, alte Freund gleich mit.

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