Süddeutsche Zeitung

Israel:Netanjahu greift wieder nach der Macht

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Das israelische Parlament ebnet den Weg zur Neuwahl am 1. November. Als Übergangspremier übernimmt Jair Lapid die Regierungsgeschäfte. Vorgänger Bennett kündigt eine Auszeit von der Politik an.

Von Peter Münch, Tel Aviv

In Israel hat das Parlament den Weg zu einer Neuwahl frei gemacht. Nach tagelangem heftigen Ringen stimmten die Abgeordneten am Donnerstag mit 92 zu 0 Stimmen für eine vorzeitige Auflösung der Knesset. Als Termin für die nunmehr fünfte Wahl innerhalb von nur dreieinhalb Jahren wurde der 1. November festgelegt. Der erneute Urnengang wird nötig, weil die seit erst einem Jahr regierende Acht-Parteien-Koalition unter dem rechten Premierminister Naftali Bennett in einem Erosionsprozess ihre Mehrheit verloren hat. Als Übergangspremier wird nun der liberale Außenminister Jair Lapid die Regierungsgeschäfte führen. Bennett will eine Auszeit von der Politik nehmen.

Die Neuwahl wirft Israel zurück in eine Zeit der Grabenkämpfe und politischen Instabilität - und eröffnet zugleich dem unter Korruptionsanklage stehenden langjährigen Regierungschef Benjamin Netanjahu eine Chance zur schnellen Rückkehr an die Macht. Netanjahu hatte bereits in der vorigen Woche die Nachricht vom Kollaps der Koalition in einem jubilierenden Video mit der Ankündigung verbunden, er werde nun eine rechte Regierung bilden, die Israel den "nationalen Stolz" zurückbringe. Seine Partner dafür sind die beiden ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Torah-Judentum sowie das offen rassistische Bündnis der Religiösen Zionisten.

Alle Umfragen sehen dieses rechts-religiöse Lager gegenüber der vorhergegangenen Wahl im Aufwind. Vor allem Netanjahus Likud wird ein Anstieg von 30 auf bis zu 35 Parlamentssitzen vorhergesagt. Die Religiösen Zionisten könnten mit neun bis zehn Sitzen zur drittstärksten Partei aufsteigen. Dennoch dürfte es diesem Viererbündnis schwerfallen, zusammen eine Mehrheit der insgesamt 120 Parlamentsmandate zu gewinnen. Sollte es wie bei den vier Wahlen in den Jahren 2019 bis 2021 zu einem Patt und damit zur gegenseitigen Blockade kommen, könnte dies zu einem fortgesetzten Reigen von Neuwahlen führen.

Durchbrechen ließe sich das am ehesten, wenn sich rechte Parteien aus der bisherigen Regierungskoalition am Ende trotz aller persönlichen Animositäten doch wieder auf ein Bündnis mit Netanjahu einließen. Die Chancen dafür sind durch Bennetts Ankündigung, bei der nächsten Wahl nicht anzutreten, gestiegen. Die Führung seiner rechten Jamina-Partei soll die bisherige Innenministerin Ajelet Schaked übernehmen. Sie hat bereits wissen lassen, dass sie sich eine gemeinsame Regierung mit Netanjahu vorstellen könne.

Bennetts Botschaft: "Wir müssen einander respektieren, statt uns zu hassen."

Lapid wird in jedem Fall so lange als Übergangspremier amtieren, bis sich eine neue Koalition gefunden hat. Der vor zehn Jahren in die Politik eingestiegene frühere Journalist hat sich in der politischen Mitte positioniert. Er ist damit der erste israelische Premierminister seit dem von 1999 bis 2001 amtierenden Regierungschef Ehud Barak, der nicht dem rechten politischen Spektrum entstammt.

Lapids Zukunftspartei, die bislang 17 Sitze hält, darf bei der nächsten Wahl ebenfalls mit Zugewinnen rechnen. Probleme haben dagegen fast alle anderen bisherigen Koalitionspartner. Sechs der beteiligten acht Parteien kämpfen laut Umfragen darum, überhaupt das für den Parlamentseinzug nötige Quorum von 3,25 Prozent der Wählerstimmen zu erreichen. Dies könnte vor der Wahl zu mehreren Parteizusammenschlüssen führen.

Das mit der Knesset-Auflösung endgültig vollzogene Scheitern der Acht-Parteien-Koalition beendet ein politisches Experiment, das weit über Israels Grenzen hinaus für Beachtung gesorgt hatte. Schließlich hatten sich hier Parteien aus dem rechten und linken Lager zusammengeschlossen, die ideologisch weit voneinander entfernt blieben. Überdies war mit der islamischen Raam-Partei erstmals in Israels Geschichte eine arabische Partei an der Regierung beteiligt.

Bennett, der bis zur Bildung einer neuen Koalition zunächst weiter als "alternierender Premierminister" dem Kabinett angehören wird, zog zum Abschied eine durchweg positive Bilanz dieses bunten Bündnisses. Die Koalition habe zwar nur kurz, aber erfolgreich regiert, erklärte er. Besonders hob er dabei die Einigkeit und Dialogbereitschaft der unterschiedlichen Partner hervor. Auch nach der nächsten Wahl brauche das Land eine Regierung, die alle Israelis repräsentiere. "Wir haben bewiesen, dass Menschen mit verschiedenen Meinungen zusammenarbeiten können", sagte er. "Wir müssen einander respektieren, statt uns zu hassen."

Ob er selbst nach einer Pause in die Politik zurückkehren will, ließ der 50-Jährige offen. Mit einigem Pathos verkündete er jedoch, dass er in irgendeiner Weise in jedem Fall weiter dem Land dienen wolle. "Der Staat Israel", so sagte er, "ist die Liebe meines Lebens."

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