Süddeutsche Zeitung

Koalitionsverhandlungen:Wer ist jüdisch genug für Israel?

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Die religiösen Parteien, mit denen Benjamin Netanjahu eine Regierungsbildung anstrebt, wollen vielen Menschen das Recht auf Einwanderung verwehren. Aus der Diaspora kommt Protest.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Hinter dicken Türen wird verhandelt über die Postenvergabe und das Programm der künftigen israelischen Regierung. Gebildet wird sie aller Voraussicht nach allein von rechten und religiösen Parteien, die ihren Anspruch schon vorab klargemacht haben: Sie wollen Israel verändern. Dazu gehört auch die Deutungshoheit in einer sehr grundsätzlichen Frage. Allgemein gefasst lautet sie: Wer ist tatsächlich ein Jude? Und spezieller: Wer darf als Jude nach Israel einwandern?

Die Frage ist von höchster Bedeutung, schließlich lebt ungefähr die Hälfte der weltweit rund 15 Millionen Juden außerhalb von Israel. Der jüdische Staat unternimmt seit jeher große Anstrengungen, die Schwestern und Brüder aus der Diaspora zur "Alijah" zu überreden, zum "Aufstieg", also zur Einwanderung ins Gelobte Land. Ziel ist die Stärkung des zionistischen Projekts. In den vergangenen Jahrzehnten hat dies zum steilen Bevölkerungsanstieg beigetragen und auch dazu, dass der demografische Wettlauf mit den Palästinensern nicht verloren gegangen ist.

Nun aber fordern die drei religiösen Parteien Schas, Vereinigtes Torah-Judentum und die Religiösen Zionisten, mit denen Likud-Chef Benjamin Netanjahu die künftige Regierung bilden will, in den Koalitionsverhandlungen weitreichende Verschärfungen der Einwanderungsregeln. Dahinter steckt die Sorge, dass eine zu laxe Handhabung die "jüdische Identität" des Staates schwächen könnte.

Jeder mit einem jüdischen Großelternteil durfte kommen

Die Regeln zur Einwanderung wurden erstmals 1950, zwei Jahre nach der Staatsgründung, im "Gesetz zur Rückkehr" festgeschrieben. Damit bekam jeder Jude das Recht auf einen israelischen Pass. In einem Zusatz zum Rückkehrgesetz wurde 1970 genauer definiert, wer alles für die Immigration infrage kommt. Demnach steht sie nicht nur jenen offen, die von der Halacha, dem Religionsrecht, als Juden definiert werden - also den Kindern jüdischer Mütter sowie anerkannten Konvertiten. Der Kreis wurde so weit gezogen, dass jeder, der ein jüdisches Großelternteil nachweist und keiner anderen Religion angehört, sofort zum Israeli werden kann.

Diese sogenannte Enkel-Klausel wollen die religiösen Parteien nun aus dem Rückkehrgesetz streichen und den Kreis auf die Kinder eines jüdischen Elternteils beschränken. Zudem hat der vor allem für seinen offenen Rassismus gegenüber Arabern bekannte Itamar Ben-Gvir von den Religiösen Zionisten noch eine zweite Front eröffnet. Einem Bericht des öffentlichen Rundfunksenders Kan zufolge fordert er in den Koalitionsverhandlungen auch eine Verschärfung bei den Einwanderungsregeln für konvertierte Juden. Künftig soll demnach niemand mehr anerkannt werden, der auf nicht-orthodoxem Weg zum Judentum übergetreten ist. Dies würde all jenen Konvertiten aus der Diaspora, die liberaleren und moderneren Strömungen des Judentums angehören, den Weg zur israelischen Staatsbürgerschaft verschließen.

Netanjahu selbst hat sich noch nicht zu diesen Forderungen geäußert. Im Koalitionsblock verfügt sein Likud über 32 Parlamentssitze und damit ebenso viele wie die drei kleineren Parteien zusammen. Doch wenn sich die Linie der ultraorthodoxen und ultrarechten Parteien durchsetzt, dürfte dies gleich doppelte Auswirkungen haben.

Israel verzeichnet gerade eine Einwanderungswelle

Zum einen würde, so hat es ein Demograf in der Zeitung Haaretz vorgerechnet, die Zahl der Einwanderungsberechtigten mit einem Schlag um rund drei Millionen Menschen sinken. Allein zwei Millionen davon leben in den USA, dem Land mit der weitaus größten jüdischen Gemeinde außerhalb Israels. In der Praxis wären davon aber derzeit am ehesten potenzielle Immigranten aus Russland und der Ukraine betroffen. Nachdem schon in den Neunzigerjahren rund eine Million Menschen aus der früheren Sowjetunion eingewandert waren, verzeichnet Israel gerade eine neue Welle, ausgelöst durch den russisch-ukrainischen Krieg.

Zum anderen dürfte eine Neuregelung im Rückkehrgesetz weitreichende Folgen für das Verhältnis Israels zur jüdischen Diaspora haben. Denn vor allem in den liberalen jüdischen Kreisen in den USA wächst ohnehin die Sorge vor einer neuen rechts-religiösen Regierung in Jerusalem. Die Einwanderungsregeln könnten nun zum Testfall werden. Doron Almog, Vorsitzender der Jewish Agency, die im Regierungsauftrag weltweit die Einwanderung fördern soll, verwies bereits auf die "immerwährende Verpflichtung, Juden aus allen Ecken der Welt die Alijah zu ermöglichen". Yitzhar Hess von der Zionistischen Weltorganisation (WZO) fordert von der künftigen Regierung, das Rückkehrgesetz nicht anzutasten, denn dies sei "die DNA der zionistischen Bewegung".

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