Süddeutsche Zeitung

Israel:Haushalt mit acht Parteien

Lesezeit: 2 min

Die Knesset hat mit knapper Mehrheit den ersten ordentlichen Staatshaushalt seit 2018 verabschiedet. Premierminister Naftali Bennett verkündet danach gleich den Anbruch einer neuen Zeit.

Von Peter Münch, Jerusalem

Als in Jerusalem der Morgen graute, feierte Premierminister Naftali Bennett den Anbruch einer neuen Zeit. "Jahre des Chaos" hätten nun ein Ende, verkündete er, "heute ist ein Feiertag für den Staat Israel". Der Grund für diese Euphorie ist eine Kolonne trockener Zahlen: In einer parlamentarischen Nachtschicht hatten die 120 Abgeordneten der Knesset mit der denkbar knappsten Mehrheit von 61 zu 59 Stimmen am Donnerstag um kurz nach fünf Uhr in der Früh den Staatshaushalt für das Jahr 2021 verabschiedet.

Es ist der erste ordentliche Haushalt seit 2018. Danach war das Parlament vornehmlich mit dem Prozedere der eigenen Auflösung und das Land mit insgesamt vier Neuwahlen beschäftigt, mit denen der frühere Premier Benjamin Netanjahu seine Macht zu retten versucht hatte. Die Nachfolger können nun auf einen ersten großen Erfolg verweisen, der zum Stabilitätsanker für die seit Juni amtierende Regierung werden könnte. Wäre der Haushalt nicht bis zum 14. November verabschiedet worden, hätte sich die Knesset automatisch aufgelöst, und es wären innerhalb von 90 Tagen erneut Parlamentswahlen fällig gewesen. Diese Gefahr wurde nun gebannt.

Die Verabschiedung des Haushalts mit einem Volumen von 609 Milliarden Schekel, umgerechnet rund 165 Milliarden Euro, ist ein Kraftakt gewesen für diese heterogene Koalition aus acht Parteien, deren weltanschauliche Unterschiede in den vergangenen Wochen immer wieder deutlich zutage getreten waren. Bennett musste mehrmals Streits schlichten und an den Zusammenhalt appellieren. Am Ende hat die Disziplin gehalten - beziehungsweise die Zugeständnisse an einzelne Partner haben gewirkt. So konnte beispielsweise die Raam-Partei für die nächsten fünf Jahre einen Etat von zehn Milliarden Schekel zur Verbesserung der sozio-ökonomischen Lage der arabischen Minderheit durchsetzen. Sie ist die erste arabische Partei in Israels Geschichte, die einer Regierungskoalition angehört.

Ein schwerer Schlag für Oppositionsführer Netanjahu

Außenminister Jair Lapid von der liberalen Zukunftspartei, der eigentliche Architekt dieser Koalition aus rechten Ideologen, linken Idealisten und arabischen Islamisten, zeigte sich außerordentlich zufrieden. Von nun an werde wieder "das Land für die Bürger arbeiten und nicht umgekehrt", erklärte er. Mit der Verabschiedung des Haushalts dürften auch seine Chancen gestiegen sein, Bennett wie im Koalitionsvertrag vereinbart im August 2023 als Premier abzulösen. Gefeiert wurde der Erfolg in der Knesset von den 61 Regierungsabgeordneten mit lautem Applaus und Selfies als Symbol der Verbundenheit.

Ein schwerer Schlag ist das Ergebnis dieser Haushaltsabstimmung dagegen für den jetzigen Oppositionsführer Netanjahu, dem obendrein im Verlauf der zahlreichen vorgeschalteten Voten einmal der Fauxpas unterlief, versehentlich für die Regierung zu stimmen. Am Dienstag noch hatten sich seine Anhänger zu einer Großdemonstration in Tel Aviv versammelt. In der Haushaltsdebatte sprach Netanjahu von einer "Regierung der Lügen" und unterstellte ihr, dass heimlich Gelder an die Feinde von der palästinensischen Hamas weitergeleitet würden.

Die stärksten Geschütze jedoch halfen ihm nichts. Erfolglos war auch sein Bemühen geblieben, einzelne Abgeordnete aus dem Regierungsbündnis herauszulocken. Nun muss er sich wohl auf eine längere Zeit in der Opposition einstellen. Dies könnte Herausforderer in seiner eigenen Likud-Partei ermutigen, ihm die Führung streitig zu machen.

Auf die Regierungskoalition wartet nun weiterhin viel Arbeit. Noch am Donnerstag kamen die Abgeordneten nach kurzer Verschnaufpause wieder zusammen, um gleich auch noch den Haushalt für 2022 zu verabschieden - und dem Land nach aufgeheizten Zeiten eine längere Phase der Planbarkeit und relativen Ruhe zu verschaffen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5456388
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.