Süddeutsche Zeitung

Rüstungskontrolle:Einigung über neues Atomabkommen mit Iran ungewiss

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Teheran begrüßt offiziell die Fortsetzung der Verhandlungen mit der EU und den USA, arbeitet aber weiter am Bau von Nuklearwaffen. Die Interessen beider Seiten scheinen kaum miteinander vereinbar zu sein - und die Zeit drängt.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Die Worte aus Teheran klingen erst einmal nach Kompromissbereitschaft: Iran begrüße "die Fortsetzung der Diplomatie und der Verhandlungen", zitierten Staatsmedien aus einem Telefonat von Außenminister Hossein Amir-Abdollahian mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Dieser hatte einen noch einmal leicht veränderten Entwurf für eine Vereinbarung vorgelegt, mit der die USA und die Islamische Republik zur Einhaltung des Atomabkommens von 2015 zurückkehren würden.

Tatsächlich aber steht der von den Europäern als Meilenstein der Diplomatie gefeierte Joint Comprehensive Plan of Action, wie der Deal offiziell heißt, vor dem Aus, sollte das Hardliner-Regime in Teheran nicht binnen Tagen in das neue Angebot einwilligen. Borrell hat deutlich gemacht, dass es sich bei dem am Dienstag vorgelegten Text um den letzten Versuch der Europäer handelt, das Abkommen noch zu retten. Nach 15 Monaten "intensiver und konstruktiver Verhandlungen" mit den teilnehmenden Staaten und den USA sei er "zur Schlussfolgerung gelangt, dass der Raum für zusätzliche signifikante Kompromisse erschöpft ist", schrieb der EU-Chefdiplomat in einem Gastbeitrag für die Financial Times. Der vorliegende Text sei der "beste mögliche Deal". Nun sei die Zeit für rasche politische Entscheidungen gekommen.

Der Zeitdruck hat mehrere Gründe: Zum einen warnen Diplomaten seit Monaten, dass das Abkommen seinen Wert bereits weitgehend eingebüßt habe. Iran hat mittlerweile so viel Uran auf 60 Prozent angereichert, dass das spaltbare Material für eine Atombombe reicht, wenn es weiter auf 90 Prozent angereichert wird. Das würde nur wenige Wochen Zeit in Anspruch nehmen. Die technischen Fortschritte des Programms lassen sich, anders als die Uranmengen, auch nicht mehr zurückfahren. Zugleich spielt die amerikanische Innenpolitik eine Rolle: Präsident Joe Biden müsste jede Vereinbarung dem Kongress vorlegen. Eine Debatte dort kurz vor den wichtigen Zwischenwahlen im November aber wäre willkommene Wahlkampfmunition für die Republikaner. Sollten diese aber die Mehrheit im Senat erlangen, erscheint es kaum denkbar, dass Biden einen neuen Deal durchsetzen kann.

Iran erwartet Zugeständnisse von den USA

Wen aber das Regime in Teheran in der Bringschuld sieht, machte Amir-Abdollahian deutlich: Die Vereinigten Staaten erklärten immer, sie wollten ein Abkommen, also müsse dies "in der Praxis sichtbar werden", verlangte er. Letztlich dreht sich der Streit zwischen den USA und Iran darum, welche der unilateralen Sanktionen Washington aufheben würde, wenn sich Iran wieder an die Vorgaben des Deals halten würde, der enge Grenzen für das iranische Atomprogramm festsetzt.

Die USA hatten unter Präsident Donald Trump die Revolutionsgarden wegen der Unterstützung terroristischer Organisationen mit Strafen belegt. Iran hat im Zuge der Verhandlungen jede Diskussion über seine Regionalpolitik abgelehnt; die Revolutionsgarden und deren Raketenprogramm werden von vielen arabischen Staaten als Bedrohung angesehen; eine Einschätzung, die sowohl die USA als auch die Europäer teilen.

Dessen ungeachtet verlangt Teheran, dass die Sanktionen gegen die direkt dem Obersten Führer Ayatollah Ali Chamenei unterstellte Eliteeinheit komplett aufgehoben werden. Dazu sind die USA nicht bereit. Sie würden allenfalls Teile der Garden ausnehmen, sofern Iran garantiert, keine Angriffe auf US-Truppen im Nahen Osten mehr zu verüben. Dazu wiederum ist Teheran nicht bereit.

Inzwischen wächst in Europa und den USA die Überzeugung, dass Iran nicht mehr an dem Abkommen interessiert ist - oder, wie es Diplomaten formulieren, sich in Teheran die "Illusion" halte, dass die USA sich bald gezwungen sehen würden, Iran deutlich weiter entgegenzukommen angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der Bestrebungen des Westens, eine akute Krise in der strategisch wichtigen Golfregion zu vermeiden.

Interne Machtkämpfe in Teheran

Der Nahost-Koordinator des Weißen Hauses, Brett McGurk, interpretiert gegenüber dem Nachrichtenportal Axios die Lage so: Iran wolle, dass die USA "etwas in den Topf geben", um denen zu helfen, die eine Einigung in der internen Debatte mit dem Obersten Führer Chamenei wollen, aber "das werden wir nicht tun". Auch europäische Diplomaten gehen davon aus, dass eine Einigung an internen Machtkämpfen in Teheran scheitert.

Dabei haben die Revolutionsgarden, die eine konfrontative Linie gegenüber dem Westen verfolgen und wirtschaftlich massiv von der Umgehung der Sanktionen profitieren, bislang die Oberhand gegenüber jenen Kräfte in der Regierung, die eine Aufhebung der Sanktionen als Vorbedingung für die wirtschaftliche Entwicklung Irans sehen und letztlich für die Stabilität des Regimes.

Sollte Iran den Schritt zur Anreicherung des Urans auf 90 Prozent gehen, dürfte dies zu neuen Sanktionen auch der EU führen - und möglicherweise einen Militärschlag gegen bestimmte Einrichtungen des Atomprogramms nach sich ziehen. Eine solche Eskalation wollen die USA und die Europäer vermeiden. Deswegen dürften sie davon absehen, die Verhandlungen oder das Abkommen offiziell für gescheitert zu erklären. Wenn es aber bis Mitte August zu keiner Einigung kommt, wäre das de facto die Situation.

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