Süddeutsche Zeitung

Zur Lage der SPD:"Wir lauern auf Quereinsteiger"

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Bremens Altbürgermeister Henning Scherf im Gespräch über die SPD, Andrea Nahles und den Erfolg der Grünen.

Interview von Lars Langenau

Henning Scherf war von 1995 bis 2005 Bürgermeister in Bremen. Der SPD-Politiker stand einer großen Koalition vor, obwohl es rechnerisch auch zu einer Koalition mit den Grünen gereicht hätte. Eigentlich wollte der 80-Jährige sich nicht mehr in die aktuelle Politik einmischen, ist dann aber doch mit seiner Frau Luise auf Wahlplakaten der SPD zu sehen gewesen. Der Slogan der beiden Scherfs: "Bei uns zählt Zusammenhalt seit 70 Jahren." Nur so richtig genützt hat es nichts: Seit 1946 in Bremen an der Macht, ist die SPD am Sonntag laut Hochrechnungen mit 24,8 Prozent und einem Minus von acht Prozentpunkten hinter die CDU zurückgefallen, die auf 26,1 Prozent kam. Ein endgültiges Ergebnis gibt es aufgrund des komplizierten Wahlverfahrens bislang noch immer nicht. Scherf sagt: "Der Abstand zwischen den Sozis und der CDU minimiert sich stündlich." Aber reichen wird es wohl trotzdem nicht, damit seine SPD die CDU noch überholen wird.

SZ: Herr Scherf, nach 73 Jahren erstmals hinter der CDU. Wie stark treffen Sie die Verluste Ihrer Partei?

Henning Scherf: Das ist eine neue Erfahrung, dass sich das mal so ändern wird. Eine Erfahrung, die man sich so nicht vorstellen konnte. Mich eingeschlossen. Aber wir haben auch hier kein Abo auf Wahlsiege und müssen uns einer zurückgehenden Loyalität stellen. Wir müssen uns sagen, dass das Teil demokratischer Veränderung ist. Wir können nicht einfach sagen, dass das furchtbar ist. Sondern wir müssen sagen, dass wir das verstanden haben - und neue Anläufe wagen.

Haben die Sozialdemokraten die Jugend unwiederbringlich an die Grünen verloren?

Nein! Nein! Anhand vieler Wahlanalysen der vergangenen Jahre habe ich beobachtet, dass die Erstwähler - mit ganz wenigen Ausnahmen - so wählen, wie ihre Eltern wählen. Meine wahlberechtigten Kinder und Enkel etwa wählen alle SPD. Darum ist die Vorstellung, dass alle Jungen zu den Grünen überlaufen, zu schnell gedacht. Das Hauptproblem ist vielmehr, dass die nicht alle zur Wahl gehen, sondern die Wahlbeteiligung der Erstwähler grottenschlecht ist. Man muss sich überlegen, wie man die mobilisiert, darum sind solche Initiativen wie "Fridays for Future" wichtig, denn hier versammeln sich junge Leute, die was bewirken wollen und sich was trauen. Wir müssen die ernst nehmen und miteinbeziehen und ihnen sagen, dass wir sie verstehen. Wir müssen ihnen einen Ort schaffen, an dem sie sich zu Wort melden und auch durchsetzen können, wenn sie was Richtiges zu sagen haben. Das muss unsere Gesellschaft erst lernen. Jedenfalls reicht es nicht mehr, sich auf Beschlüsse von Gremien zurückzuziehen. Vielmehr müssen wir die Leute eben anders mitnehmen und mit ihnen zusammenarbeiten. Ich ärgere mich immer, wenn auf solchen Veranstaltungen zu wenig SPD-Funktionäre mit ihren Flaggen mitlaufen, denn genau da gehören wir hin: Mittendrin!

Ist die SPD ein Auslaufmodell?

Nein, aber wir sind in schwierigen Fahrwassern. Nicht nur in Bremen und in der Bundesrepublik, sondern europa- und weltweit. Man kann von Land zu Land lernen, dass die Sozialdemokratie unter Druck ist. Aber die Sozialdemokratie wird dringend benötigt, um die Rechtspopulisten in Schach zu halten. Und um so etwas wie einen demokratischen, sozialen und parlamentarisch legitimierten, alternativen Gesellschaftsentwurf zu haben, der auch Minderheiten fair miteinbezieht. Man darf sich nicht entmutigen lassen, wie wir es gerade in Bremen erlebt haben.

Was fehlt der SPD?

Uns fehlt der Rückenwind, den wir bei Willy Brandt und Helmut Schmidt hatten. Damit hatten wir regionale Erfolge, aber das ist im Augenblick nicht gegeben. Immerhin liegen wir in Bremen noch zehn Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt.

Trotzdem ging es auch in der Hansestadt für die SPD acht Prozentpunkte runter. Fehlte Ihrer Partei in Bremen ein Zugpferd?

Carsten Sieling war zum ersten Mal Spitzenkandidat. Er hatte es schwer, obwohl er sich große Mühe gegeben hat und fleißig war. Charismatische Qualitäten hatte ich anfangs auch nicht. Das hat sich erst entwickelt, nachdem ich gemerkt habe, dass die Leute mir gern zuhören und mir abnehmen, was ich sage. Erst dann habe ich gespürt, dass ich getragen werde und konnte das wieder zurückgeben. Das ist bei Carsten leider nicht so gewesen.

War es denn zwischen 1995 und 2005, als Sie Bürgermeister waren, einfacher?

Es war eine andere Lage. Ich habe eine große Koalition, gegen den Willen der Parteiführung, aber nach einem Mitgliederentscheid, geführt. Nur so konnte ich mit der CDU eine Art Sanierungskoalition fahren. Und das gegen heftige Gegenwehr von vielen in der SPD, aber genau das hat vielen Wählern gefallen. Nur so konnten wir viele der weggelaufenen Wähler zurückholen und ich konnte gegen den Trend einen Sieg einfahren.

Vorher war aber auch eine Ampel mit Grünen und FDP gescheitert ...

Die ist damals kollabiert, weil die FDP die Grünen wie Feinde angegriffen hat. Diese alten Wunden wird CDU-Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder noch zu spüren bekommen, wenn er eine Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP schmieden will. Die Grünen sind nun in der Rolle des Königmachers.

Wie stehen Sie zu einer CDU/SPD-Koalition in Bremen?

Eine von der CDU geführte Regierung hat keine Mehrheit in der SPD. Denn es ist gleichzeitig möglich, mit der Linken und den Grünen den Regierungschef zu stellen. Ich glaube, dass Rot-Rot-Grün kommen wird. Aber das hängt jetzt von den Grünen ab.

CDU-Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder war früher Hippie, ist IT-Unternehmer und erst seit 2018 in der CDU. Macht es die SPD Quereinsteigern zu schwer?

Wir lauern auf Quereinsteiger! Quereinsteiger sind bei uns hochwillkommen und mit einer Reihe von Altkommunisten ist uns das sogar gelungen. Aber vielleicht machen wir es Quereinsteigern nicht so leicht wie die CDU. Die Christdemokraten haben Meyer-Heder schon den Teppich ausgerollt, als der noch nicht einmal Mitglied war.

Kann die SPD mit Andrea Nahles überhaupt siegen?

Das muss sich erst noch beweisen. Sie hat eine Niederlage nach der anderen verkraften müssen. Aber sie wird hart daran arbeiten, dass die Ergebnisse der Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen einigermaßen vorzeigbar sind. Zudem muss sie die Halbzeitbilanz der Koalition in Berlin ziehen und vertreten. Das sind alles dramatische Hürden, aber ich gehe davon aus, dass sie nicht resigniert, sondern bis zur nächsten Bundestagswahl Kraft genug für ihr Amt als Vorsitzende hat. Ob sie dann die richtige Kandidatin ist, dass muss man sorgfältig abwägen und gucken, ob es nicht eine attraktive Alternative zur CDU-Spitzenkandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer geben kann. Das geht bei Nahles alles sehr unter die Haut. Wenn man ihr gut will, und ich bin einer, der ihr gut will, dann wünsche ich ihr ganz starke Nerven, Durchhaltevermögen und ganz viel Kraft und Fairness. Sie hat es schwer, ich würde ungern mit ihr tauschen.

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