Süddeutsche Zeitung

Hamburg:Tödliche Messerattacke auf 16-Jährigen - Zweifel an IS-Erklärung

Lesezeit: 3 min

Von Peter Burghardt, Hamburg, und Ronen Steinke, Hamburg/München

Zwei Wochen liegt dieser rätselhafte Mord an der Alster nun schon zurück, da taucht am Wochenende plötzlich eine Mitteilung auf. Ein "Soldat des Islamischen Staates" habe am 16. Oktober in Hamburg zwei Menschen erstochen, heißt es in einer Mitteilung von Amaq, dem Internet-Sprachrohr der Terrormiliz IS, die in der Nacht zum Sonntag bekannt wurde. Der Mann habe die Attacke "als Reaktion auf die Aufrufe ausgeführt, Bürger der Koalitionsländer anzugreifen". Tatsächlich war an jenem Abend ein Mensch erstochen worden. Ein 16-jähriger Hamburger Schüler wurde unter der Kennedy-Brücke im Zentrum der Hansestadt von einem unbekannten Täter mit einem Messer attackiert, im Krankenhaus erlag er seinen Stichwunden. Seine 15 Jahre alte Begleiterin wurde ins Wasser gestoßen, blieb sonst aber unverletzt.

Sonst folgt die Triumphmeldung des IS rasch, diesmal dauerte es zwei Wochen

Jetzt fragen sich die Behörden, wie ernst dieser Hinweis zu nehmen ist. War dies tatsächlich der erste Mord des IS in Deutschland? Bei den IS-Attentaten in Würzburg und Ansbach waren am Ende alle Opfer wieder lebend aus den Krankenhäusern entlassen worden, beim Attentatsplan des in Chemnitz wohnenden Syrers Dschaber al-Bakr hatten die Behörden rechtzeitig eingegriffen. Erst bei diesem Hamburger Fall nun wäre es anders. Wäre. Besorgt man durch voreilige Aufregung nur das Geschäft der IS-Propagandisten? Über das Verlautbarungsorgan Amaq reklamiert der IS zwar immer wieder Anschläge für sich, doch am Wahrheitsgehalt bestehen diesmal einige Zweifel.

Üblicherweise folgt die Triumphmeldung per Amaq recht rasch auf die Tat, diesmal aber dauerte es zwei Wochen. Zudem enthält die Botschaft, die auf Englisch und Arabisch verbreitet wurde, nur vage Angaben und keinerlei Täterwissen, im Gegenteil, sie enthält sogar einen auffälligen Fehler: Nicht zwei Personen wurden in Hamburg erstochen, wie es dort heißt, sondern eine. Entsprechend vorsichtig gehen die Experten mit der Verlautbarung um.

Die Authentizität der Meldung werde geprüft, berichtete am Sonntagnachmittag eine Sprecherin der Hamburger Polizei. Nach wie vor ermittelt die Mordkommission in alle Richtungen. Auch der Staatsschutz ist jetzt dabei, die Spezialisten trafen sich am Sonntag zu einer Lagebesprechung, im Hintergrund prüft die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, ob sie die Federführung übernehmen will.

Der Terrormiliz nicht "auf den Leim gehen"

Hamburgs Polizei tappte bisher im Dunkeln, der Fall gilt als mysteriös. Das junge Paar saß an jenem Sonntagabend auf den Stufen unterhalb der Brücke, als der Messerstecher gegen 22 Uhr sein Opfer tödlich attackierte und dessen Freundin in die Alster zwang. Anschließend flüchtete er anscheinend über einen Wanderweg in Richtung der Straße am Ufer. Tagsüber und am frühen Abend ist die nahe Umgebung von Spaziergängern und Joggern belebt. Außer der 15-jährigen Überlebenden gab es dem Vernehmen nach aber keine Zeugen.

Die Jugendliche konnte den Angreifer beschreiben. Er soll zwischen 23 und 25 Jahre alt und 1,80 bis 1,90 Meter groß gewesen sein, habe dunkle Haare und einen Dreitagebart gehabt, Jeans und einen braunen Pullover getragen und sei von südländischem Aussehen gewesen. Ermittler stellten die Tat später nach, eine Waffe scheint trotz der Suche von Tauchern nicht gefunden worden zu sein.

Hamburgs Polizeisprecher warnte vor "Spekulationen", auch der Hamburger Verfassungsschutz-Sprecher Marco Haase erklärte nur, dass man die neuen Hinweise natürlich prüfen werde, wie üblich in solchen Fällen. Allerdings solle niemand in Hysterie verfallen und der Terrormiliz damit "auf den Leim gehen". Die gezielte Instrumentalisierung der Medien gehöre zur Taktik des IS, um die Bevölkerung zu verunsichern, Medien seien für die Gruppe ein Mittel, um ihre Drohbotschaften zu multiplizieren. Man werde die Amaq-Botschaft zur Kenntnis nehmen, "professionell unsere Arbeit machen, uns aber nicht treiben lassen".

Was folgt, ist die inzwischen gut eingeübte Formel in Momenten trüber Sicht, wenn es zwar noch keinen Grund für neue Sorgen gibt, aber wie immer auch keinen zur Beschönigung. Die Bedrohung für Deutschland und somit auch für Hamburg sei unverändert. Seit Jahren schon stehe Deutschland im Fokus islamistischer Terroristen, nicht erst seit gestern. Zur Strategie gehöre auch, Propaganda über die sozialen Netzwerke zu verbreiten - "und das zu Taten, die tatsächlich oder vermeintlich durch diese Terroristen inspiriert wurden". Hamburg hat eine vergleichsweise große, gut organisierte islamistische Szene. Das Landesamt für Verfassungsschutz zählte Anfang Oktober 640 Personen zur salafistischen Szene, die größte Zahl entfalle auf junge Männer im Alter von 22 bis 34 Jahren. Seit 2014 seien von dort 38 Menschen in Richtung Syrien oder Irak ausgereist.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2016
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