Süddeutsche Zeitung

Hamburg:Koch bleibt Koch, Kellner bleibt Kellner

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Die Wähler haben die rot-grüne Koalition bestätigt - und deren Rangfolge. Diesmal sind die Grünen aber mehr als nur das Anhängsel der SPD wie vor fünf Jahren - jetzt können sie Forderungen stellen.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Natürlich erwähnt die freudige Hamburger SPD nun, ganz nebenbei, die traurige CDU; die Grünen sollen ja nicht zu aufmüpfig werden. Der alte und neue Erste Bürgermeister Peter Tschentscher will auch mit der Union reden, denn theoretisch würde es für Rot-Schwarz reichen nach seinem Sieg bei der Bürgerschaftswahl.

Doch über ein höfliches Gespräch wird das kaum hinausgehen. "Eine Koalition der SPD mit der CDU ist ausgeschlossen", sagt der Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl der Süddeutschen Zeitung, er erkennt in dieser Alternative nicht einmal Drohpotenzial. Die Hamburger seien "auf Rot-Grün abonniert", wie das Wahlergebnis zeige. Das weiß die SPD. Das wissen die Grünen: "Die Wähler haben ganz klar gesprochen", sagt Anjes Tjarks, der Fraktionsvorsitzende der Grünen. "Rot-Grün bestätigt. Mit deutlich stärkerem Grün."

Mehr als 60 Prozent der Wähler haben für die beiden wichtigsten Parteien der Hansestadt gestimmt, 39 Prozent für die SPD und 24 Prozent für die Grünen. Gemeinsam besitzen sie im künftigen Landesparlament eine noch bequemere Mehrheit als bisher, seit 2015 regieren die zwei zusammen. Sie sind inzwischen eine Rarität, Rot-Grün ist in den Bundesländern zuletzt aus der Mode geraten. Peter Tschentscher von der SPD und seine Vize Katharina Fegebank von den Grünen setzen die hanseatische Version der Farbenlehre fort, obwohl sie sich in diesen Wochen dann doch ein wenig gestritten hatten.

Mit der abgestürzten CDU wäre es jetzt einfacher, über die Jobverteilung im Senat zu sprechen. Die CDU könnte kaum Ansprüche stellen. Wiesendahl kann sich allerdings nicht annähernd vorstellen, dass die SPD eine verzwergte CDU zum Regierungspartner aufwerten will, Tjarks fände es ebenfalls "sehr erklärungsbedürftig", die meisten SPD-Freunde sehen das vermutlich ähnlich. Es sieht also ganz so aus, als würden Tschentscher und seine SPD bald mit den erstarkten Grünen über Posten und Programm feilschen.

Die Grünen spekulieren offenbar darauf, künftig auch das Verkehrsressort zu führen

Bisher stellen die Sozialdemokraten außer dem Ersten Bürgermeister acht der elf Senatorinnen oder Senatoren, die Grünen besetzen nur die Ressorts Umwelt, Justiz und Wissenschaft. Vor allem für den Verkehr interessieren sich die Grünen, genauer gesagt für die Verkehrswende. Da wird es einiges zu besprechen geben. Die Grünen sind nicht mehr nur der Appendix der SPD wie vor fünf Jahren unter Olaf Scholz.

Weitere Felder könnten den Grünen nicht schaden. Bisher werden sie hauptsächlich mit dem Klimaschutz in Verbindung gebracht, was zwar in diesen Zeiten enorm wichtig ist, aber offensichtlich nicht genügt hat, um in Hamburg Grün-Rot statt Rot-Grün auszuprobieren. Noch dazu hatte die SPD in Ökothemen der Grünen gewildert. Die Stimmen für die SPD seien "ein totaler Erfolg für die", sagt Tjarks, "da will ich gar nicht drum herum reden. Trotzdem ist es weniger als vorher.

Und wir haben uns verdoppelt." Dieser große Erfolg der Hamburger SPD liegt besonders an Peter Tschentscher, 54, den mancher unterschätzt hatte. Am Sonntag wurde er in Hamburg gefeiert, am Montag in Berlin, wie ein Retter der Sozialdemokratie, er hielt souveräne Reden vor den Augen und Ohren der Nation. Wer hätte all das gedacht, als der vormalige Finanzsenator und frühere Labormediziner 2018 dem in die Groko umgezogenen Scholz nachfolgte? Viele Hamburger kannten ihn erst kaum. Seine Stellvertreterin Fegebank forderte ihn heraus, angetrieben vom Triumph der Grünen bei den Europa- und Bezirkswahlen 2019. Sie ging in das Duell, es folgte Tschentschers Konter. "Sie hat ein Personalplebiszit haben wollen", meint Wiesendahl. "Das hat sie gekriegt." Fegebank verlor den direkten Vergleich gegen Tschentscher eindeutig.

Amtsträger Tschentscher sammelte Punkte, Wiesendahl entdeckt bei ihm eine Mischung aus Bescheidenheit und Bestimmtheit, ohne die zuweilen etwas herrische Attitüde von Vorgänger Scholz. Er strahlte für ihn weniger Charisma als Vertrauen aus, "das ist ein Mann, dem man die Geschicke Hamburgs in die Hand legt". Vor allem ältere und konservativere Wähler wandten sich eher dem Genossen Tschentscher zu als der Grünen Fegebank. Hängen blieben SPD-Slogans wie "Die ganze Stadt im Blick" und "Hamburg gut regieren", Letzteres ein Spruch aus der Ära Scholz. Dazu ein paar Nadelstiche gegen die Grünen, die dagegen kein Mittel fanden. Ihre Zugewinne feierten sie trotzdem, die Spitzenkandidatin tanzte bei der Wahlparty unter Sonnenblumenmotiven in die Nacht. Ihr Regierungspartner bleibt bei aller Euphorie zurückhaltend, wie es seine Art ist. Sie hätten anfangs einiges zu ertragen gehabt, sagt Tschentscher am Wahlabend, "die Dinge in Berlin", der Rücktritt von Andrea Nahles. Doch Hamburgs SPD habe "ganz bewusst einen Hamburger Wahlkampf geführt". Und: Rot-Grün sei "eine naheliegende Option". Für den Grünen Tjarks ist Rot-Grün ebenfalls naheliegend. Klar gebe es Verletzungen aus dem Wahlkampf, "aber ich sehe nirgendwo unüberwindliche Hürden".

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SZ vom 25.02.2020
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