Süddeutsche Zeitung

Grünen-Parteitag in Bielefeld:Die Erwartungen an Baerbock und Habeck wachsen

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Von Constanze von Bullion, Bielefeld

Immer schön langsam, und bitte nicht dem Tross davoneilen - das ist die Botschaft des Bielefelder Parteitags an Superstar Robert Habeck. Der 50-Jährige, den manche schon im Kanzleramt sehen wollen, geht bei seiner Wiederwahl am Samstag mit 90,4 Prozent ins Ziel - ein gutes Stück hinter Annalena Baerbock. Die 38-Jährige holt mit 97,1 Prozent ein Rekordergebnis. So viel Zuspruch bekam vor ihr kein Cem Özdemir und kein Jürgen Trittin und nicht mal Claudia Roth, die 2001 mit 91,5 Prozent Parteichefin wurde.

Häme allerdings über den zarten Dämpfer für Habeck oder gar eine triumphierende Geste von Baerbock ist am Samstag nicht zu beobachten. Die Grünen, die in Bielefeld wieder und wieder das Zusammenstehen beschworen haben, haben sich demonstrativ untergehakt. Schließlich weiß die Partei sehr genau, dass genau das sie von Union und SPD unterscheidet: das Fehlen innerer Zerrissenheit, ob bei Themen wie Migration oder Extremismus. Oder im Spitzenteam, wo öffentliche Rivalität tunlichst vermieden wird.

Ganz frei von Konkurrenz allerdings ist auch das Duo Baerbock-Habeck nicht. In Bielefeld zeigte sich das schon am ersten Konferenztag, als Habeck in einer Auftaktrede so ausdauernd mutige Frauen lobt, von Petra Kelly über Greta Thunberg bis Angela Merkel, dass die Absicht kaum zu überhören ist: Da sucht jemand weibliche Delegierte zu bezirzen. Annalena Baerbock wiederum macht am Samstag den Eindruck, als wolle sie vieles sein, nur keine Quotenfrau.

"Menschen, die wirklich gestalten wollen, die muten sich Widerspruch zu", sagt sie in ihrer Bewerbungsrede. "Ich will, dass Politik Verantwortung übernimmt, unsere Zukunft zu gestalten." Die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft in Zeiten der Klimakrise könne nur gelingen, wenn sie für alle Menschen funktioniere, "für Stahlarbeiter, für die Pendlerin in der Prignitz und für den Familienvater und seinen Handwerksbetrieb."

Da setzt zum ersten Mal Gejohle ein im Saal, und es wird lauter, als Baerbock zum Kampf für Gleichberechtigung kommt, der "nie zu Ende" gehe. Mit einem Satz landet die Rednerin dann bei jesidischen Frauen, die Schutz bräuchten, notfalls auch militärischen. Der Bogen zu Bielefeld 1999 ist jetzt geschlagen, als die Grünen erstmals einen Militäreinsatz der Nato unterstützten. Man kann Baerbocks außenpolitischen Exkurs aber noch ganz anders verstehen. Lass doch andere über die grüne Kanzlerkandidatur spekulieren. Außenministerin wäre doch auch ein interessanter Job.

Als Robert Habeck an der Reihe ist, wirkt er ein wenig fahrig, fast als habe er keine rechte Lust mehr, sich diesem Wettreden zu stellen. Er spricht über "schmerzhafte Prozesse der Transformation", die auf Deutschland zu kämen. "Die Parteien sind hochnervös", sagt er, auch er selbst scheint es zu sein. Habeck, das ist unüberhörbar, hat genug von Kanzlerspekulationen und täglich wachsenden Erwartungen, auch von der Verschärfung des Tons in Zeiten der Polarisierung. "Wir dürfen uns nicht verhärten. Wir müssen offen bleiben für berechtigte Kritik", ruft er seinen Parteifreunden zu. Und dass er nicht immerfort verglichen und ausgespielt werden wolle gegen Annalena Baerbock. "Es ist ein Privileg, dass wir immer weiter zusammengerückt sind." Als es vorbei ist, gibt es stehende Ovationen und auf der Bühne eine Umarmung. Der Rest ist Erwartung. Sie ist ziemlich groß.

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