Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Antisemitismus-Vorwürfe gegen Jeremy Corbyn

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Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel-Aviv, und Cathrin Kahlweit, London

Der Schritt hat keine unmittelbaren politischen Konsequenzen, aber er ist von hoher Symbolkraft: Die israelische Arbeitspartei Awoda suspendiert die Beziehungen zum Chef der britischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn. Der Awoda-Vorsitzende Avi Gabbay begründete dies in einem Brief damit, dass Corbyn "Antisemitismus ermöglicht". Corbyn habe die gefährliche Linie zwischen legitimer Kritik an der israelischen Politik und Antisemitismus überschritten, heißt es in dem an "Dear Mr. Corbyn" adressierten Schreiben, das Gabbay umgehend auf Twitter stellte.

Corbyn habe "Feindseligkeit gegenüber der jüdischen Gemeinschaft gezeigt" und als Vorsitzender der Labour-Partei antisemitische Erklärungen und Taten zugelassen, heißt es weiter. Der Chef der israelischen Arbeitspartei stellte klar, dass sich die Aufkündigung der Beziehungen nur auf Corbyn beziehe, die beiden Parteien könnten aber weiter kooperieren.

Corbyns Haltung unterscheidet sich deutlich von der seines Vorvorgängers Tony Blair

In den vergangenen Wochen war in israelischen Medien ausführlich über Corbyns Position zum Judentum berichtet worden. "Niemand hat uns zu sagen, wer gute Juden sind. Nicht einmal Juden", hieß es in einem Kommentar der linksliberalen Haaretz. In Israel wird unter anderem kritisiert, dass sich Corbyn in Zusammenhang mit den von der Hamas organisierten Protesten an der Grenze zum Gazastreifen für ein Rückkehrrecht der im Zuge der Staatsgründung Israels 1948 vertriebenen Palästinenser ausgesprochen hatte. Die Aktionen gegen die protestierenden Palästinenser nannte Corbyn "illegal und inhuman"; er forderte außerdem eine Überprüfung der britischen Waffenexporte nach Israel.

Darauf bezog sich auch Gabbay - und wies darauf hin, dass, "wenn es um Fragen der Sicherheit unserer Bürger und Handlungen unserer Soldaten geht, Opposition und Regierung in Israel auf einer Linie sind". Breiten Raum in der Berichterstattung nahm auch Corbyns Besuch eines Pessach-Abendessens bei der linken jüdischen Organisation Jewdas ein. Die Jüdische Arbeiterbewegung in Großbritannien (JLM, Jewish Labour Movement) warf ihm vor, den Abend "mit einer Organisation zu verbringen, die sagt, wir sch... auf Juden".

Seine Entscheidung habe außerdem mit dem Holocaust-Gedenktag zu tun, schrieb Gabbay. An diesem Donnerstag gibt es, wie jedes Jahr, Schweigeminuten im ganzen Land für die Holocaust-Opfer.

Die Entscheidung der israelischen Arbeitspartei kommt für Corbyn zur Unzeit, denn auch daheim in Großbritannien steht der Labour-Chef seit Wochen unter Druck wegen des Vorwurfs, er dulde Antisemitismus in der Partei und habe sich selbst nicht ausreichend davon distanziert. Aktueller Auslöser war ein Facebook-Eintrag vor einigen Jahren gewesen, in dem sich Corbyn gegen die Entfernung eines antisemitischen Wandbildes in London ausspricht; heute sagt er entschuldigend dazu, er habe das Bild nur flüchtig betrachtet.

Das Verhältnis zwischen den Israelis und den Briten ist sehr komplex

Aber der Streit in der Partei reicht tiefer. Er hat nicht nur zu einer Anti-Corbyn-Demonstration jüdischer Verbände vor dem Parlament und dem Rücktritt einiger, auch hochrangiger Parteimitglieder geführt. Dem Labour-Chef und seinen Unterstützern von der linken Bewegung Momentum wird - zumal vor den anstehenden Kommunalwahlen - vorgeworfen, traditionelle, ins bürgerliche Lager reichende Teile der Partei hinausdrängen und sozialistischen Vertretern den Weg in Partei- und Wahlämter ebnen zu wollen. Sowohl die Momentum-Spitze als auch Corbyn gelten als scharfe Kritiker der israelischen Politik im Westjordanland und im Gazastreifen. Bis vor einigen Monaten war Corbyn auch Mitglied in einer propalästinensischen Facebook-Gruppe gewesen, in der antisemitische Posts an der Tagesordnung waren. Seine Haltung unterscheidet sich stark von der seines Vorvorgängers Tony Blair, der sich einst als Vermittler für einen Frieden in Nahost engagiert hatte.

Das Verhältnis zwischen den Israelis und den Briten ist sehr komplex. Zwar verweisen die Israelis gern auf die Balfour-Erklärung, die als Meilenstein auf dem Weg zur Staatsgründung Israels in Palästina gilt. Der damalige britische Außenminister Arthur James Balfour schrieb 1917 in einem Brief an Lord Rothschild: "Die Errichtung einer nationalen Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk wird von der Regierung Seiner Majestät mit Wohlwollen betrachtet. " Im Zweiten Weltkrieg weigerte sich die britische Mandatsmacht aber, verfolgte europäische Juden ins Land zu lassen. Von 1947 an zogen sich die Briten aus Palästina zurück, am 14. Mai 1948 war die Staatsgründung. Der Teilungsplan der UN, der einen Staat auch für die Palästinenser vorsah, wurde - auch wegen des Widerstandes arabischer Staaten - nie verwirklicht. Die Arbeitspartei Awoda ist eine Nachfolgepartei der Mapai, deren Vertreter - etwa Israels erster Premier Ben Gurion - sich für den Zionismus und den Aufbau des Staates Israels eingesetzt haben.

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SZ vom 12.04.2018
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