Süddeutsche Zeitung

Aus drei Schwarzmeer-Häfen:Ukrainische Exporte senken Getreidepreis

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Seit August transportieren Schiffe wieder regelmäßig Weizen und andere Ernteprodukte aus dem Kriegsgebiet. Auf den Weltmarkt wirkt sich das positiv aus. Für arme Länder ist der Effekt gering.

Von Florian Hassel

Der 28. Dezember war ein normaler Arbeitstag in den ukrainischen Schwarzmeerhäfen. Elf Schiffe machten sich mit ukrainischem Getreide für die Welt auf den Weg. Die Zeinab fuhr aus Tschornomorsk mit 25 000 Tonnen Weizen nach Tunesien. In Odessa verließ die Lucky mit 5500 Tonnen Sonnenblumenmehl für Spanien den Hafen. Und im Hafen Juschne lichtete die Green K-Max2 mit 71 970 Tonnen Mais für China den Anker. An diesem Freitag werden es mehr als 16 Millionen Tonnen Weizen, Mais, Sonnenblumenöl und andere Ernteprodukte sein, die seit dem 1. August aus den ukrainischen Häfen abtransportiert wurden.

Das ist deutlich mehr als die gesamte Getreideeinfuhr des von Importen abhängigen Landes Ägypten mit seinen 106 Millionen Einwohnern. Dass die Exporte aus drei Häfen, die nach Russlands Angriff auf die Ukraine , einen der wichtigsten Exporteure der Welt, gesperrten worden waren, wieder regelmäßig möglich sind, ist ein Erfolg. Gleichwohl stehen die Getreideausfuhren auf wackeligen Beinen.

Vor Kriegsausbruch erntete die Ukraine im Rekordjahr 2021 mindestens 86 Millionen Tonnen Getreide (so das Agrarministerium) oder gar 106 Millionen Tonnen (laut Getreideproduzentenverband). Der größte Teil wird exportiert, vor allem über die Schwarzmeerhäfen. Als Russland die Ukraine am 24. Februar überfiel, warteten dort 20 Millionen Tonnen auf die Ausfuhr. Die schon in der Corona-Krise gestiegenen Getreidepreise auf dem Weltmarkt explodierten, UN-Fachleute warnten vor weltweiten Hungersnöten.

Am 27. Juli aber unterschrieben die Ukraine und Russland unter Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen die Schwarzmeerinitiative: Seit dem 1. August können Getreidefrachter drei ukrainische Häfen anlaufen und verlassen - und werden bei Istanbul auf dem Meer auf dem Hin- wie Rückweg von Inspektoren daraufhin überprüft, ob sie tatsächlich nur Getreide an Bord haben, nicht etwa Waffen für die Ukraine.

Russland bekam als Gegenleistung von den UN zugesagt, dass auch die Ausfuhr russischen Getreides und russischer Agrarchemieprodukte wieder möglich sein solle. Daraus scheint etwa wegen bestehender Sanktionen etwa der EU wenig geworden zu sein. Gleichzeitig exportierte Russland in großen Mengen gestohlenes ukrainisches Getreide sowohl nach Russland als auch in die Türkei oder nach Syrien.

Anfang November drohte Wladimir Putin, die am 20. November auslaufende Schwarzmeerinitiative nicht zu verlängern. Moskau tat dies schließlich doch - allerdings wiederum nur um 120 Tage, nicht um das von den UN vorgeschlagene Jahr. Spätestens beim Auslaufen der jetzigen Übereinkunft im März 2023 dürfte es zur nächsten Krise kommen.

Die Ukraine selbst hat angesichts des Krieges deutlich weniger geerntet. Die Regierung schätzt die Getreideernte bis Jahresende auf 51 Millionen Tonnen, die Getreideproduzentenvereinigung auf 65 Millionen Tonnen - in jedem Fall ein drastischer Rückgang im Vergleich zu den Rekordernten 2021. Die Gründe: Russland hat etwa mit Teilen der Region Saporischschja oder Cherson große Flächen fruchtbarer Felder besetzt. Vielen ukrainischen Bauern fehlt es im Krieg zudem an Geld, Saatgut, Pestiziden und nun auch an Stromgeneratoren. Dabei leben der Welternährungsorganisation FAO zufolge 1,35 Millionen Ukrainer von der Landwirtschaft. Die russischen Raketenangriffe haben zudem an manchen Orten Getreidesilos zerstört oder die Stromversorgung - was etwa Silos, die eingebrachtes Getreide trocknen, außer Gefecht setzt.

Der FAO zufolge stieg in der Ukraine der Eierpreis allein von September bis Oktober auf fast das Doppelte, weil es infolge des Krieges ein Fünftel weniger Legehennen gibt. Die UN sehen im Winter auch die Lebensmittelversorgung der Ukrainer als Problem: Zwar sind fast acht Millionen Menschen aus der Ukraine nach Europa geflohen, doch 6,5 Millionen Ukrainer sind Flüchtlinge im eigenen Land.

Auf dem Weltmarkt sind die Preise durch die Wiederaufnahme der ukrainischen Getreideausfuhren stark gefallen. Nachdem der Getreidepreisindex der FAO im Mai auf einen Höchstwert geklettert war, bewegt er sich nun wieder nach unten, lag im November noch 6,3 Prozent über dem Wert des Vorjahres, aber immer noch um 50 Prozent über dem Preis von 2020.

Die UN-Handelsorganisation Unctad zeigt sich besorgt, weil die Lebensmittelpreise insgesamt immer noch ein Drittel höher sind als 2020. Und nicht nur das: Der Dollar sei zwischen Mai 2021 und Oktober 2022 um ein Viertel gestiegen, so Unctad. Die Folge: eine Doppellast aus höheren Getreidepreisen und einem teuren Dollar - Basis für Getreidegeschäfte -, fatal vor allem für arme Länder mit oft schwachen Währungen, die im Vergleich zum Dollar besonders stark an Wert verloren.

Weizen etwa war im Oktober für Ägypten im Vergleich zu 2020 um neun Zehntel teurer geworden, für das noch ärmere Äthiopien gar um 176 Prozent. Statt 135 Millionen Menschen vor der Covid-Pandemie seien nun weltweit 350 Millionen Menschen unsicher, woher ihr Essen kommen solle, so die UN.

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