Süddeutsche Zeitung

Krieg in der Ukraine:Hunger als Waffe

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Moskaus Ankündigung, das Getreideabkommen aussetzen zu wollen, wird scharf kritisiert. Wird es eine baldige Lösung des Problems geben?

Von Nicolas Freund

Die Ankündigung Russlands, das Abkommen zum Export von Getreide aus der Ukraine auf unbestimmte Zeit auszusetzen, wurde international stark kritisiert. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb auf Twitter, die Entscheidung Moskaus "gefährde die wichtigste Exportroute für dringend benötigtes Getreide und Düngemittel zur Bewältigung der durch den Krieg gegen die Ukraine verursachten weltweiten Nahrungsmittelkrise". US-Präsident Joe Biden nannte die Aufkündigung am Samstag empörend, sie werden für mehr Hunger auf der Welt sorgen.

US-Außenminister Antony Blinken sagte, Russland setze Nahrungsmittel erneut als Waffe ein. Auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij verurteilte Moskaus Vorgehen deutlich: "Warum kann eine Handvoll Personen irgendwo im Kreml entscheiden, ob es Essen auf den Tischen der Menschen in Ägypten oder in Bangladesch geben wird?" Für die Ukraine sind die Exporte auch eine wichtige Einnahmequelle.

Ohne Sicherheitsgarantie Moskaus sind die Gefahren groß

Moskau hatte am Wochenende angekündigt, das im Juli mit Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen (UN) ausgehandelte Abkommen aussetzen zu wollen. Die Vereinbarung sah sicheres Geleit für Getreideexporte aus der Ukraine über das Schwarze Meer vor. Zuvor waren die Schifffahrtsrouten monatelang von Minenfeldern und der russischen Marine blockiert gewesen. Das Abkommen wurde als wichtiger Beitrag zur Sicherstellung der weltweiten Lebensmittelversorgung angesehen. Russland und die Ukraine gehören zu den größten Exporteuren von Getreide, Mais und anderen Nahrungsmitteln. Der Krieg in der Ukraine hat weltweit die Preise für Getreideprodukte und andere Lebensmittel deutlich steigen lassen.

Russland hatte das Aussetzen des Abkommens mit Angriffen auf Schiffe der Schwarzmeerflotte begründet. Moskau hatte zuvor schon immer wieder mit einem solchen Schritt gedroht. Am Samstag soll der russische Marinestützpunkt in Sewastopol auf der besetzten Halbinsel Krim von Drohnen sowohl aus der Luft als auch zu Wasser angegriffen worden sein. Mindestens ein Schiff wurde dabei angeblich beschädigt, manche Quellen in sozialen Netzwerken behaupten auch, mehrere Schiffe der russischen Marine seien getroffen worden. Moskau bezeichnete den Angriff als Terrorakt, obwohl der Marinestützpunkt, wenn der Angriff von ukrainischen Streitkräften verübt wurde, ein legitimes Kriegsziel ist.

Wegen des Angriffs verkündet Moskau nun aber, die Sicherheit der Schifffahrtsrouten nicht mehr aufrecht erhalten zu können und deshalb das Abkommen aussetzen zu müssen. Die Begründung ist nicht sehr glaubwürdig: Es ist unwahrscheinlich, dass ukrainische Drohnen, egal ob im Wasser oder in der Luft, eine große Gefahr für Getreidefrachter darstellen. Als solche galten im Sommer vor allem die Minenfelder, bei denen nicht ganz klar ist, ob sie von russischen oder ukrainischen Truppen gelegt worden waren. Mindestens ein Teil dieser Minen ist inzwischen wohl auch geräumt worden.

Am Montag soll sich nun auf einen Antrag Russlands hin der UN-Sicherheitsrat mit dem Thema befassen. Ein UN-Sprecher sagte am Samstag, man sei in Kontakt mit Vertretern Russland, um eine Fortsetzung des Abkommens zu erwirken. Wenn Moskau nicht einlenkt, wird eine Fortsetzung der Exporte aber kaum möglich sein.

Die Gefahr, ohne Sicherheitsgarantie Russlands, Nahrungsmittel auf dem Seeweg zu transportieren, wäre wahrscheinlich zu groß. Moskau hatte immer wieder die Sorge geäußert, dass über das Schwarze Meer auch Waffen in die Ukraine geliefert werden könnten. Die Frachter für die Getreideexporte wurden deshalb bei Istanbul auch von russischen Inspekteuren kontrolliert. Ohne das Abkommen könnte Russland in seiner Logik die Frachtschiffe nun zu Kriegszielen erklären - weil es ja sein könnte, dass sie Waffen transportieren.

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