Süddeutsche Zeitung

Gespräche in Brüssel:Was die Ergebnisse des Gipfels für die Koalition bedeuten

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Von Constanze von Bullion, Berlin

Gäbe es eine Auszeichnung für Beharrlichkeit in wenig aussichtsreicher Lage, an diesem Wochenende wäre sie Angela Merkel (CDU) gewiss. Bis zum Morgengrauen hat die Bundeskanzlerin am Freitag mit den europäischen Partnern eine Einigung in der Migrationsfrage erstritten. Das Ergebnis sind die härtesten migrationspolitischen Maßnahmen in der Geschichte der Europäischen Union. Ob sie allerdings ausreichen, um auch Bundesinnenminister Horst Seehofer und seine CSU zu befrieden und ein Zerbrechen der Bundesregierung zu verhindern, wird erst am Sonntag gewiss sein. Dann tritt - nach dem nächsten Verhandlungsmarathon - das Spitzenpersonal der CSU zusammen, und dann geht es um alles, nicht nur für Merkel, auch für Seehofer.

Nach einem Totalschaden für die Bundesregierung allerdings sah es am Freitag nicht aus. Denn was die Kanzlerin vom Brüsseler Gipfel heimgebracht hat, war mehr als erwartet. Die EU-Staatschefs wollen Sammellager für Migranten. Spanien und Griechenland haben der Bundesregierung zugesagt, Asylsuchende wiederaufzunehmen, die an der deutsch-österreichischen Grenze nach Deutschland einreisen wollen und bereits in Madrid oder Athen in der Fingerabdruckdatei Eurodac registriert wurden. Mit weiteren Staaten, so Merkel, sollen bilaterale Verwaltungsabkommen ausgehandelt werden - von den Innenministern; ausgerechnet Horst Seehofer also wird diese Aufgabe zufallen.

Für die Kanzlerin sind das "substanzielle Fortschritte", wie sie am Freitag nach Abschluss des Brüsseler Gipfels sagte. Aus ihrer Sicht seien nun auch die Forderungen der CSU im Asylstreit erfüllt: "Das ist mehr als wirkungsgleich." Das zielte auf Seehofers Forderung, Flüchtlinge an deutschen Grenzen zurückzuweisen, die bereits anderswo in der EU registriert sind. Hierauf werde die CSU nur verzichten, wenn andere, "wirkungsgleiche Maßnahmen" in Brüssel vereinbart würden, hatte er angekündigt.

Jeden Kompromiss mit der Bundeskanzlerin abzulehnen und im Fall weiterer Uneinigkeit gegen ihren Willen Grenzabweisungen anzuordnen, dürfte für die CSU nun schwer vermittelbar werden. Als Zäsur kann insbesondere der Brüsseler Beschluss gelten, in ganz Europa geschlossene Sammellager für Flüchtlinge einzurichten. Dort soll entschieden werden, wer in der EU bleiben darf und wer nicht. Die Einrichtung der Zentren sei freiwillig, heißt es in dem Beschluss. "Italien hat sich nicht verpflichtet, solche Zentren einzurichten", sagte Merkel. Die vereinbarte Freiwilligkeit betrachte sie nicht als "Präjudizierung" für die Verteilung von Flüchtlingen in Europa, die noch zu regeln sei.

Geprüft werden soll auch die Einrichtung außereuropäischer Auffanglager für Migranten, etwa in Nordafrika. Im Brüsseler Beschluss ist von "regionalen Anlandungszentren" die Rede, die in enger Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und der Internationalen Migrations-Organisation (IOM) geführt werden sollen. Dort sollen Schutzsuchende "unter Wahrung internationalen Rechts" untergebracht und festgesetzt werden. Zweck der Zentren, die auf Drängen von Frankreich und Italien beschlossen wurden, ist Abschreckung. Außerdem soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex verstärkt werden und der Kampf gegen Fluchtursachen.

Mit den Ergebnissen beim EU-Außengrenzenschutz könne man zufrieden sein, hieß es im Umfeld Seehofers. Das bedeute aber nicht, dass man deshalb in Fragen der sogenannten Sekundärmigration bisherige Forderungen zurückstelle - oder Probleme auf die lange Bank zu schieben gedenke. Gemeint ist damit die Kontroverse, mit der Seehofer seit zwei Wochen die Republik in Atem hält. Es geht da um rund 46 000 Flüchtlinge, die jedes Jahr in einem Randstaat der EU registriert werden, dann aber nach Deutschland weiterwandern und um Asyl zu bitten. Seehofer will sie ohne Anhörung abweisen und zurück in ihr EU-Erstland schicken. Die Kanzlerin lehnte das ab. Auf unabgestimmte Zurückweisungen zu Lasten von Ländern am Rand der EU lasse sie sich nicht ein. Laut EU-Recht müsse jeder Fall in Deutschland zunächst geprüft werden. Das Grundrecht auf Asyl müsse gewahrt bleiben.

Dass Seehofer das so nicht hinnehmen wollte, ist bekannt. Nicht bekannt war am Freitag, ob er nun seine Drohung wahrmachen will, per Ministererlass Zurückweisungen an der Grenze anzuordnen. Das zwänge Merkel, ihn zu entlassen. Der Minister hatte zuletzt erkennen lassen, dass er ein solches Szenario nicht anstrebt. Er wolle sich außerdem kein unnötig hohes Tempo vorschreiben lassen, auch nicht von den eigenen Leuten. "Da setzen wir uns jetzt nicht in einen Stundendruck", sagte er noch am Donnerstag. "Zu Hektik gibt es überhaupt keinen Anlass."

Entscheidend bei der Sitzung der CSU-Granden am Sonntag wird also sein, ob das Brüsseler Paket auch mit Blick auf die Weiterwanderung innerhalb der EU Gnade findet. In Brüssel wurde hierzu festgelegt, dass die Mitgliedsstaaten "alle erforderlichen internen Rechtsetzungs- und Verwaltungsmaßnahmen gegen diese Migrationsbewegungen treffen und dabei eng zusammenarbeiten" sollen.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, im Asylstreit kein Friedensstifter, ließ erkennen, dass Merkels Paket aus Brüssel nicht ohne Weiteres vom Tisch zu wischen ist. "Eine Reihe an Punkten - wie der bessere Schutz der Außengrenzen, Flüchtlingszentren in Drittländern und mehr Engagement bei der Fluchtursachenbekämpfung - sind Maßnahmen, die wir als CSU seit Langem mit Nachdruck einfordern", so Dobrindt. Das klang fast so, als habe der Rückzug schon begonnen.

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SZ vom 30.06.2018
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