Süddeutsche Zeitung

G-20-Gipfel:Die Gehemmten

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Von Robert Roßmann, Berlin

Es ist ein Appell, der an Deutlichkeit kaum zu übertreffen ist. "Jene, die durch die Globalisierung abgehängt wurden, verlieren ihr Zutrauen in Regierungen und Institutionen", klagt UN-Generalsekretär António Guterres. Die Ungleichheit auf der Welt sei "allgegenwärtig" und wachse, der Klimawandel schreite voran, Handelsstreitigkeiten eskalierten, und geopolitische Spannungen sorgten "für mehr Druck auf die globale Wirtschaft". Guterres fordert die Staats- und Regierungschefs der G 20, die an diesem Freitag in Buenos Aires zusammenkommen, deshalb auf: Zeigt stärkere Führung und mutigeres Handeln. Es sei zwingend notwendig, dass die Staaten zusammenarbeiten, um eine gerechtere Welt zu schaffen.

Der Appell von Gutteres ist dringend nötig. Argentinien hat seine Ratspräsidentschaft zwar unter das Motto gestellt: "Building Consensus for Fair and Sustainable Development". Doch es dürfte in der zehnjährigen Geschichte der G-20-Gipfel noch kein Treffen gegeben haben, beim dem der "Aufbau eines Konsenses zur gerechten und nachhaltigen Entwicklung" der Welt derart schwierig war wie bei dem Treffen in Buenos Aires. Es sind "schwere Zeiten für den Multilateralismus", hieß es am Donnerstag in Kreisen der Bundesregierung. Man wäre schon froh, wenn es gelänge, sich auf ein Abschlusscommuniqué zu verständigen, das inhaltlich nicht hinter das des letzten Gipfels 2017 in Hamburg zurückfalle.

Die G 20 sind ein informeller Zusammenschluss der 19 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer sowie der Europäischen Union. Ihre Mitgliedsstaaten stellen fast zwei Drittel der Weltbevölkerung und erwirtschaften mehr als 80 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts. Sie könnten gemeinsam einiges bewegen. Doch die Zahl der G-20-Staats- und Regierungschefs, die auf eine gedeihliche Zusammenarbeit zum Nutzen aller setzen, hat in den vergangenen Jahren abgenommen. Prominentes Beispiel dafür ist US-Präsident Donald Trump mit seiner aggressiven "America First"-Politik. Das Abschlusscommuniqué des letzten G-7-Gipfels in Quebec kündigte Trump sogar nachträglich via Twitter wieder auf. Aber auch Gipfelteilnehmer wie die Präsidenten Russlands, Chinas und der Türkei machen Gespräche nicht einfach, vom saudischen Kronprinzen Mohammad bin Salman ganz zu schweigen.

Deutsche Delegation setzt auf die Themen Afrika, Stärkung der Frauen und Weltgesundheit

Die argentinische Ratspräsidentschaft bemüht sich trotzdem bereits seit Monaten darum, dass es in Buenos Aires vorzeigbare Ergebnisse geben wird. Den Südamerikanern sind dabei drei Bereiche besonders wichtig: Die Ernährungssicherung - Ziel ist es dabei, die globale Versorgung mit Nahrungsmitteln zu verbessern, zum Beispiel durch eine nachhaltige Steigerung der Produktivität bei der Bodennutzung. Außerdem soll es um die Förderung privater Investitionen in die Infrastruktur gehen, ganz besonders in Entwicklungsländern, sowie um die Veränderungen der Arbeitswelt durch neue Technologien. Wie bei beinahe jedem G-20-Gipfel stehen bei den Arbeitssitzungen aber auch Themen wie Handel, Steuern oder Klimaschutz auf der Agenda. Der deutschen Delegation sind vor allem die Themen Afrika, Stärkung der Frauen und Weltgesundheit wichtig, also etwa die Verhinderung von Pandemien und Epidemien.

In Buenos Aires dürften die wichtigsten Gespräche aber nicht in den Arbeitssitzungen stattfinden, sondern in sogenannten bilaterals. Merkel trifft sich unter anderen mit Trump sowie den Präsidenten Russlands, Chinas und Indiens zu Einzelgesprächen - Wladimir Putin, Xi Jinping und Narendra Modi. Ein Zweiertreffen der Kanzlerin mit dem saudischen Kronprinzen, der sein Land in Buenos Aires vertritt, ist bisher nicht vorgesehen. Auf die Frage, wie die Kanzlerin mit Mohammed bin Salman in der großen Runde aller Staats- und Regierungschefs umgehen wolle, hieß es in deutschen Regierungskreisen nur lapidar, Merkel werde sich "normal und zivilisiert verhalten". Ansonsten wurde darauf verwiesen, dass Deutschland mit seinen Partnern die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi verurteilt und eine Aufklärung der Hintergründe eingefordert habe. Diese Position werde man natürlich auch in Argentinien vertreten.

Trump steht unter Druck des US-Kongresses

Während Merkel und Putin ein Treffen in Buenos Aires bereits fest vereinbart haben, ist noch unklar, ob Trump den russischen Präsidenten zu einem Vieraugengespräch treffen wird. Für Trump ist die Entscheidung heikel. Mehr noch als bei der spektakulären Begegnung der beiden Präsidenten in Helsinki vor einem halben Jahr steht Trump unter dem Druck des US-Kongresses, Härte gegen Moskau und sich selbst handlungsfähig zu zeigen - auch im Lichte der Russland-Untersuchungen des US-Sonderermittlers gegen ihn.

Das zweite - und bedeutendere - Problem für Trump bei einem Gespräch mit Putin wäre die Debatte um den INF-Vertrag. Die USA sind entschlossen, das Abkommen zur Abschaffung nuklearer Mittelstreckenraketen zu kündigen, weil sich Russland nicht an den 1987 geschlossenen Vertrag halte. Bereits am kommenden Dienstag könnte ein entsprechender Vorstoß Washingtons bei den Nato-Außenministern in Brüssel landen. Die entscheiden zwar nicht mit, Washington sucht aber die politische Unterstützung der Nato-Verbündeten. Offen ist, ob Trump beim G-20-Gipfel neue Belege für russische Vertragsverletzungen vorlegen kann. Denn bisher stößt Trump bei vielen Nato-Partnern auf Unverständnis. Trump könnte Putin aber auch eine Frist setzen, zu den im INF-Vertrag vorgesehenen Konfliktlösungs-Mechanismen zurückzukehren. Dies könnte in einem Gespräch am Rande des G-20-Treffens geklärt werden.

Gegenstand eines Treffens Trumps mit Putin, aber auch dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, müsste jedoch auch der stockende Syrien-Friedensprozess sein. Nach dem Treffen Merkels und Emmanuel Macrons mit Putin und Erdoğan im Oktober gibt es zumindest eine Idee für eine politische Friedenslösung. Trump müsste Putin jetzt einen möglichen US-Anteil daran aufzeigen. Doch bisher sieht es nicht danach aus, dass Trump und Putin dem Wunsch des UN-Generalsekretärs nach einer gedeihlicheren internationalen Zusammenarbeit nachkommen.

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SZ vom 30.11.2018
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