Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Die Beweise Cäsars

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Von Paul Munzinger und Christian Wernicke, Paris/München

Das Signal kam von ganz oben: Außenminister Laurent Fabius persönlich war es, der die französische Justiz zum Jagen trug - zur Jagd auf Baschar al-Assad. Syriens Diktator und seine Schergen, so empörte sich Fabius, unterdrückten ihr Volk mit einer regelrechten "Bürokratie des Horrors" - also sei es "Frankreichs Verantwortung zu handeln, damit die Mörder nicht davonkommen."

Vor zwei Wochen schon, so wurde am Mittwoch bekannt, eröffnete die Pariser Staatsanwaltschaft deshalb Ermittlungen wegen mutmaßlicher "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Beweise, so glauben die Ermittler, haben sie genug: 55 000 zumeist entsetzliche Fotos von ungefähr 11 000 Leichen. Menschen, die das syrische Regime in den Jahren 2011 bis 2013 gefoltert und ermordet haben soll.

Der Fotograf ist inzwischen aus Syrien geflohen

Die Dokumente stammen von "Cäsar". So nennt sich jener Fotograf, der bis Juli 2013 für die syrische Militärpolizei arbeitete und im Auftrag der Armee die sterblichen Überreste der Opfer ablichtete: ausgemergelte Körper, manche verstümmelt, viele mit eindeutigen Folterspuren an Köpfen, Oberkörper und Beinen. Cäsar und seiner Familie gelang es im Sommer 2013, aus Syrien zu fliehen. In seiner Tasche trug er einen Memory-Stick mit seinen Fotos.

Aus Angst vor der Rache von Assads Geheimdienst versteckt sich Cäsar seither anonym in einem westeuropäischen Land. Nächste Woche wird ein Teil seiner Bilder in einem Buch in Frankreich veröffentlicht: "Das zeigt das wahre Gesicht von Baschar al-Assad", hat der Kronzeuge jetzt in L'Observateur gesagt. Und hinzugefügt: "Dieses Buch ist auch eine Botschaft an all jene Diplomaten und Politiker, die heute wieder auf Assad zugehen wollen."

"Traumhafte Beweismittel für jeden Staatsanwalt"

Die Beweise Cäsars sind nicht neu. Schon 2014 tauchten die Bilder auf - und Damaskus nannte die Fotos prompt eine Fälschung. Drei Experten, die Cäsar stundenlang interviewt und in Stichproben sein Beweismaterial rigorosen Test unterworfen hatten, waren vom Scheichtum Katar honoriert worden.

Nur, die Gutachter wie der Amerikaner David Crane, der früher als UN-Staatsanwalt Kriegsverbrechen in Sierra Leone aufarbeitete, genießen höchste Reputation. "Dies ist die rauchende Pistole", urteilte Crane damals, "das ist der direkte Beweis für die Mord-Maschinerie des Regimes". Nicht allein die Bilder, auch Cäsars pedantisch genaue Vorgehensweise bei der Dokumentation machten seine Fotos zu "traumhaften Beweismitteln für jeden Staatsanwalt".

Auch Petra Becker, Syrien-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, hält Cäsars Fotos für "glaubwürdig". Seine Dokumente würden "nur abbilden, was uns aus unzähligen Augenzeugenberichten bekannt ist, und zwar sowohl von entlassenen Häftlingen als auch von übergelaufenen Offizieren." Becker kennt sogar "Fälle von Familien, die ihre in Haft verschollenen Angehörigen auf den Fotos identifiziert haben."

Die französische Staatsanwaltschaft ist womöglich gar nicht zuständig

Bis 2011 war es Cäsars Aufgabe gewesen, als kriminalistischer Helfer Tatorte ablichten: mal Verbrechen, mal Autounfälle. Als 2011 der Arabische Frühling losbrach und in Syrien zum Bürgerkrieg eskalierte, wiesen ihm Vorgesetzte seinen Horrorjob zu. Nun musste Cäsar die Leichen mutmaßlicher Regimegegner fotografieren, die in zwei Krankenhäuser in Damaskus aufgebahrt wurden.

Bis zu 50 Tote, so erzählte er, habe er täglich ablichten müssen - jeweils fünf Mal. Die Fotos nutzte das Regime für zwei Zwecke. Für die Vorgesetzten waren sie der Nachweis, dass Todesurteile wirklich vollstreckt wurden. Und den Hinterbliebenen konnte man harmlosere Fotos zur Täuschung vorlegen: Ergänzend hieß es, die Verwandten seien "Atemproblemen" oder "Herzattacken" erlegen.

Nur, Cäsars Fotos sind keine Garantie, dass der Diktator je in Paris vor einen Richter kommt. Für eine Anklage muss noch eine Bedingung erfüllt sein: Unter den 11 000 fotografierten Opfern oder unter den zahllosen Tätern muss sich ein Franzose befinden. Sonst, so bedauert der Staatsanwalt an der Seine, sei man nicht zuständig.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2015
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