Süddeutsche Zeitung

FDP-Spitzenkandidat Lindner zur NRW-Wahl:"Das CDU-Modell ist so vage, dass es von den Piraten sein könnte"

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Bloß jeder Personaldebatte ausweichen: Im Interview zum NRW-Wahlkampf verkneift sich FDP-Kandidat Christian Lindner jede Spitze gegen Parteichef Rösler, versucht die Diskussion von Personen zu Themen zu lenken und skizziert seine Marschroute für NRW. Bei den Themen Mindestlohn und Studiengebühren setzt er sich klar von der Union ab.

Thorsten Denkler

Nach der langen Talfahrt der Liberalen in Bund und Ländern muss ihr Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen nun die parlamentarische Existenz der FDP im Landtag verteidigen. Christian Lindner will nach Wolfgang Kubickis "Wunder von Kiel" ebenfalls beweisen, dass die Partei mit unangepassten Persönlichkeiten noch mobilisieren kann. Die Chancen des 33-Jährigen stehen gut: Nach mageren zwei Prozent in den März-Umfragen liegt die FDP in NRW schon wieder bei sechs Prozent und damit über der Fünf-Prozent-Hürde. Trotzdem will er im Interview nicht über seine Person, sondern über Sachthemen reden.

Süddeutsche.de: Herr Lindner, wann sind sie auf die Idee gekommen, dass Personen im Wahlkampf keine Rolle spielen?

Christian Lindner: Der Fokus auf Personen entpolitisiert und lenkt ab. Deshalb beschäftige ich mich lieber mit den Aufgaben, die wir in Nordrhein-Westfalen lösen müssen. Andere Parteien haben Currywürste auf den Plakaten. Wir müssen dagegen an soliden Finanzen, fairen Chancen für das Gymnasium und einer Energiepolitik arbeiten, die Industriearbeitsplätze sichert.

SZ: Wenn es nicht um ihre Person geht, wie Sie in fast jedem Interview sagen, dann könnten Sie doch auf Wahlplakate mit ihrem Konterfei verzichten, oder?

Lindner: Es gibt bei uns kein Plakat ohne eine konkrete Aussage in der Sache. Ich sage es deshalb gerne auch hier: Es geht nicht um mich.

SZ: Herr Lindner, es geht fast nur um ihre Person.

Lindner: Glauben Sie wirklich, dass die 18 Millionen Menschen in NRW sich für meine politischen Laufbahn interessieren?

SZ: Nicht für Ihre Laufbahn. Aber die Menschen wollen wissen, wer für die Inhalte steht, die eine Partei in praktische Politik umsetzen will.

Lindner: Einverstanden. Dennoch beobachte ich in diesem Wahlkampf den Versuch unserer geschätzten Mitbewerber, politische Richtungsentscheidungen komplett durch Wohlfühlwerbung wie "NRW im Herzen" zu verdecken. Wir wollen dagegen mit Ernsthaftigkeit auf die wichtigen Sachfragen hinweisen: Schulen besser machen und nicht gleich, bezahlbare Energie statt teure Ideologie, solide Finanzen statt teurer Versprechen. Der Botschafter dieser Themen darf sich im Übrigen nicht wichtiger nehmen als die Botschaften.

SZ: Wenn der Botschafter keinen geraden Satz sprechen kann, unsympathisch und unglaubwürdig wirkt, dann würden die besten Inhalte nicht helfen. Stimmen Sie zu?

Lindner: Vielen Dank für die Komplimente, aber jetzt lassen Sie uns zu Inhalten kommen.

SZ: Die Frage war, ob Sie dem Satz zustimmen.

Lindner: Worauf wollen Sie hinaus?

SZ: Wenn der Satz stimmt: Warum schafft es Parteichef Philipp Rösler nicht, die Menschen zu überzeugen. Liegt es an den Inhalten oder an der Person?

Lindner: Um weitere Fragen gleich vorweg zu nehmen: Es geht in NRW nicht nur nicht um mich, sondern auch nicht um Philipp Rösler.

SZ: Klar. Diese Frage ist doch der einzige Grund, weshalb Sie so bedacht sind, von ihrer Person abzulenken. Es gibt ja einige in Ihrer Partei, die sagen, Sie machen es besser als Rösler.

Lindner: Solche Debatten führe ich nicht. Ich will mich ernsthaften Sachfragen zuwenden. Das ist die Voraussetzung für neues Vertrauen.

SZ: Herrn Rösler scheint das nicht sonderlich zu gelingen. Die Putschgerüchte gegen ihn werden Sie jetzt dementieren. Aber sie passen durchaus in die Landschaft, oder?

Lindner: Anonym vorgetragene Gerüchte muss ich nicht kommentieren.

SZ: Ihr Name wird immer wieder genannt, wenn es um eine Ablösung von Rösler geht. Schließen Sie völlig aus, dass Sie bis zur Bundestagswahl Parteivorsitzender der FDP werden?

Lindner: Entschuldigung, das sind etwas abwegige Debatten. Sie stellen diese Frage immerhin am Tag nach meiner Wahl zum Vorsitzenden des größten Landesverbandes der FDP. Und wenige Tage vor einer Landtagswahl, nach der ich erklärtermaßen Vorsitzender der FDP-Fraktion werden will.

SZ: Wenn es nun partout nicht ihre Person ist, was ist dann der Grund dafür, dass Sie mit der FDP jetzt in Umfragen über der Fünf-Prozent-Hürde liegen? An Herrn Rösler dürfe es ja nicht liegen.

Lindner: Es hat hier einen politischen Wendepunkt für die FDP gegeben. Dass wir dem rot-grünen Schuldenhaushalt nicht zugestimmt haben...

SZ: ... war mehr Zufall als geplant.

Lindner: Nein. Die Taten sprechen für sich. Wir waren gesprächsbereit. Aber niemals hätte die FDP einem Haushalt mit einer Neuverschuldung oberhalb von drei Milliarden Euro zugestimmt. Wir waren bereit, in rauer See die Segel zu setzen und in den Mast zu steigen. Das hat uns neuen Respekt gebracht.

SZ: War die FDP, deren Generalsekretär Sie ja waren, im Bund zu brav gegenüber den Koalitionspartnern?

Lindner: Das kann man nicht pauschal beantworten. Die Menschen möchten lieber von guter Koalitionsarbeit überrascht, als von täglichem Gezänk genervt werden.

SZ: Ein schwieriger Spagat, wenn Sie und Fraktionschef Brüderle etwa gegen das Betreuungsgeld rhetorisch die Keule rausholen, aber de facto nichts dagegen unternehmen werden.

Lindner: Wer holt dagegen die Keule aus? Das war bereits ein Kompromiss der Koalitionsverhandlungen, dessen Hintergründe ich im Einzelnen nicht kenne. Ich habe ja an den Spitzenrunden erst nach Abschluss des Koalitionsvertrages teilgenommen, weil ich erst Mitte Dezember 2009 Generalsekretär wurde. Zu getroffenen Entscheidungen muss man stehen. Aber die CSU selbst könnte das Vorhaben wegen der ideologisch aufgeladenen Debatte zurückstellen. Oder Wolfgang Schäuble, weil es ja einen generellen Finanzierungsvorbehalt im Koalitionsvertrag gibt.

SZ: Gut, schauen wir uns ein neues Markenzeichen der FDP an: Abbau der Nettoneuverschuldung auf null. Im Bund soll das bis 2014 erreicht werden. Nur sagt Herr Rösler nicht, wie das gehen soll. Wie wollen Sie die Nettoneuverschuldung in NRW auf null bringen?

Lindner: Der wichtigste Schritt ist, angesichts wachsender Staatseinnahmen auf neue Aufgaben zu verzichten. NRW hat wachsende Einnahmen. Der Staat darf nicht mehr schneller wachsen, als wir Wohlstand erwirtschaften. Beispielsweise hatte das Land in den letzten zwei Jahren fünf Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen, von denen Rot-Grün aber nur eine zum Schuldenabbau genutzt hat, vier Milliarden für neue Aufgaben. Das darf sich nicht wiederholen. Zum Zweiten: Wir wollen den Staat schlanker machen. Müssen zum Beispiel IT-Dienstleistungen oder das Immobilienmanagement von vielen Hundert Landesbediensteten in großen Behörden erbracht werden? Das können auch Private erledigen. Zum Dritten werden wir von Rot-Grün eingeführte gesetzliche Standards konsequent auf die durchschnittliche Höhe aller Länder zurückführen, solange das Land verschuldet ist.

SZ: Welche Standards?

Lindner: Zum Beispiel bei der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst. Ich bin sehr für die Mitbestimmung, aber der Umfang von Freistellungen für Personalratsarbeit liegt nun deutlich höher als das, was andere Bundesländer oder der Bund für erforderlich halten. Allein in der Schule können so mehrere hunderttausend Unterrichtstsstunden jährlich nicht erteilt werden.

SZ: Die größten Posten im Landeshaushalt sind die Personalkosten für Lehrer und Polizisten. Werden Sie für weniger Lehrer und Polizisten plädieren?

Lindner: Wir haben in der schwarz-gelben Regierungszeit 2005 bis 2010 rund 8000 neue Lehrer eingestellt. Auch bei der Polizei haben wir die Lage verbessert. Zugleich haben wir 14.000 Stellen in der öffentlichen Verwaltung abgebaut. Das zeigt: Man kann in einem schlankeren Staat zugleich neue Schwerpunkte setzen. Das Ziel muss bei allem sein, in den kommenden fünf Jahren einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Parteien, die dieses Ziel nicht teilen, kämen für uns auch als Regierungspartner nicht in Frage.

SZ: Sparen bis es quietscht wird gerade europaweit abgestraft. In Kiel geht Schwarz-Gelb baden, in Frankreich siegt der Sozialist Hollande, in Griechenland haben die Wähler die Sparparteien der großen Koalition pulverisiert. Kann es sein, dass Sparen als Prinzip nicht reicht?

Lindner: Diese Entwicklung besorgt mich auch. Eine Rückkehr zur Politik auf Pump darf es nicht geben. Die legt die nächsten Generationen in Ketten. Die heutigen Politiker müssen lernen, mit dem Geld auszukommen, das die Bürger ihnen geben.

SZ: Zu Lasten des Sozialstaates.

Lindner: Wir haben doch in Deutschland keine sozialpolitische Steinzeit, wenn wir in NRW auf den Durchschnitt der Standards der anderen Bundesländer gehen. Es wäre schon etwas gewonnen, wenn die Politik für ein paar Jahre keine neuen und zusätzlichen Wohltaten erfinden würde! Also: Kein kostenloser öffentlicher Personennahverkehr, keine Laptops für alle, kein bedingungsloses Grundeinkommen, um mal drei aktuelle Forderungen der Piraten zu nehmen. Das sparen wir uns einfach. Dann hilft uns die wachsende Wirtschaft bei der Entschuldung.

SZ: Dann gestatten Sie diese Frage: Sie wollen in NRW die Studiengebühren wieder einführen. Welchen gesellschaftlichen Mehrwert hat eine Mehrwertsteuerermäßigung für Hotelbesitzer gegenüber einem gebührenfreien Studium?

Lindner: Diese Verbindung ist ein rhetorischer Trick, um die FDP jahrelang in der Defensive zu halten und jede Förderung in der Sache sofort zu diskreditieren. Zur Mehrwertsteuer habe ich mich oft geäußert, differenziert in der Sache, kritisch zum Zeitpunkt. Hier geht es jetzt um etwas anderes, nämlich um ein gutes Studium. Wenn es einen Weg gibt, ohne Staatsschulden die Qualität der Hochschulen zu verbessern, bin ich dafür offen. Solange ich den nicht kenne, halte ich Studienbeiträge für sinnvoll und sozial verträglich. Sie sind sinnvoll, weil mehr Geld für die Hochschulen zusammenkommt. Sie sind sozial verträglich, weil in NRW die Studierenden erst nach ihrem Berufseintritt langsam ein Darlehen bezahlt haben, das sogar mit dem BAföG verrechnet wurde. Deshalb haben sie weder jemanden abgeschreckt, noch den Zugang von Jugendlichen aus sozial schwachen Familien zur Hochschule erschwert. Das hat 2010 schon die Sozialerhebung des Studentenwerkes belegt.

SZ: Sie sind nicht nur der einzige, der Studiengebühren wieder einführen will, sondern auch den schwer erarbeiteten Schulkonsens in NRW aufbrechen möchte. Warum? Es kann doch schon als Wert an sich gelten, wenn nicht nach jeder Wahl die leidige Schulstrukturdebatte neu entfacht wird.

Lindner: Ich will Wahlfreiheit zwischen den Schulformen ermöglichen. Der scheinbare Schulfrieden geht zu Lasten der Gymnasien. Da haben die Klassen häufig mehr als 30 Schüler, da gibt es nur für ein Viertel der Schulen den Ganztag. Die grüne Schulministerin will das Gymnasium austrocknen, weil sie langfristig doch Einheitsbildung will. Inzwischen erkennt auch ein Teil der CDU, dass sie den Grünen beim Schulkonsens auf den Leim gegangen ist und das Gymnasium benachteiligt wird.

SZ: Die FDP trägt die neuen Gemeinschaftsschulen in vielen von ihr mitregierten Städten mit.

Lindner: Da handelt es sich um Sekundarschulen, also die Zusammenfassung von Haupt- und Realschule zu einer starken, attraktiven, berufsorientierten Säule neben dem Gymnasium. Solche Zwei-Säulen-Modelle begrüße ich. In meiner Heimatstadt Wermelskirchen macht das sogar ein FDP-Bürgermeister. Aber das ist eben nicht ein Ersatz für das Gymnasium, das als beliebteste Schulform nicht benachteiligt werden darf.

SZ: Ihr CDU-Mitbewerber Norbert Röttgen ist erstaunlicherweise nicht mehr so Feuer und Flamme für Studiengebühren wie Sie. Haben Sie noch den Eindruck, dass er wirklich Ministerpräsident werden will?

Lindner: Nein, aus der CDU wird inzwischen ja sogar offen erklärt, dass man auf eine große Koalition setzt. Das sagen nicht Stimmen aus der zweiten Reihe, sondern das sagt der Fraktionsvorsitzende. Das wäre dann Rot-Schwarz. Die Leute wählen Röttgen, bekommen in der Regierung dann aber Laumann, den Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft. Ich finde es bedauerlich, dass die Union keine bürgerliche Alternative mehr zu Rot-Grün sein will. Eine solche große Koalition mit starkem Linksdrall bräuchte dringend Opposition aus der bürgerlichen Mitte. Das wäre die Aufgabe der FDP.

SZ: Die CDU geht jetzt massiv auf das Thema Mindestlohn. Ist sie damit für die FDP überhaupt noch koalitionsfähig?

Lindner: Das CDU-Modell ist so vage, dass es von den Piraten sein könnte. Ich habe jedenfalls nicht verstanden, was der zusätzliche Nutzen gegenüber der bisherigen Rechtslage sein soll. Das hat Züge von Symbolpolitik.

SZ: Sie waren immer ein Verfechter des mitfühlenden Liberalismus. Haben Sie ihn aufgegeben?

Lindner: Keineswegs, nur wird in den Begriff gern etwas sozialdemokratisches hineininterpretiert. Ich bin aber Anhänger der FDP von Lambsdorff, Genscher und Baum. Ich will zum Ausdruck bringen, dass es unsere Aufgabe ist, jedem Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dass wir einen Staat brauchen, der uns bei den großen Fragen nicht im Stich lässt, aber der uns im Alltag in Ruhe lässt.

SZ: In Schleswig-Holstein fliegt die Linkspartei raus, die Piraten kommen rein. Heißt das: Der Protest bleibt, nur die Parteien ändern sich?

Lindner: Zumindest scheinen die Piraten eine gute Anlaufstation für enttäuschte Linkswähler zu sein. Da verbindet sich ein anarchistisch-libertäres Bild vom Internet mit klassisch linken, staatsorientierten Forderungen.

SZ: In zwei Jahren sieht die Welt wieder ganz anders aus. Sie werden nicht Parteichef sein, das haben wir jetzt gelernt. Aber wird Herr Rösler noch Parteivorsitzender sein?

Lindner: An der Debatte beteilige ich mich nicht. Was zählt ist: Mit Schleswig-Holstein und kommenden Sonntag in NRW erreichen wir eine Stabilisierung. Das hilft auch der Bundes-FDP.

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