Süddeutsche Zeitung

Demokratie und Rechtpopulismus:Gauck warnt vor "kultureller Arroganz"

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Von Christian Wernicke, Essen

Im Kampf gegen den Rechtspopulismus in Deutschland hat der frühere Bundespräsident Joachim Gauck vor einer pauschalen Ausgrenzung etwa von AfD-Anhängern gewarnt. Politik, Medien und Gesellschaft sollten sich dem Streit stellen. "Einen moralischen Bann vorschnell auszusprechen, entspricht nicht den Prinzipien einer offenen, demokratischen Gesellschaft", sagte das einstige Staatsoberhaupt am Dienstagabend vor mehr als 800 Studierenden in Essen, "es ist eben keine intellektuelle Leistung und keine politische Tugend, dem politischen Gegner die Debatte zu verweigern."

Gauck sprach als diesjähriger Mercator-Professor der Universität Duisburg-Essen. Er nannte die rechtspopulistische "Alternative für Deutschland" (AfD) während seiner Vorlesung im Essener Audimax zwar nicht ausdrücklich bei ihrem Namen. Der 78-jährige ehemalige Politiker bezog sich jedoch auf Wähler, die "eine Rückkehr zu einer überschaubaren, homogenen Nation" und weniger Europa wünschten.

Viele Menschen seien verunsichert durch Globalisierung und Digitalisierung. Das mache sie anfällig für "die Angststrategien" von Populisten, die "einfache Antworten, schnelle Entscheidungen, klare Hierarchien und weniger Verunsicherung" versprächen. Gauck geißelte zudem scharf die von der Rechten oft wiederbelebte Vorstellung von einem "wahren Volk, das von einer korrumpierten Elite - in Politik, Medien, auch mal Wissenschaft und Kultur - bevormundet und übergangen" würde.

Gauck mahnte, die Politik müsse "Sensibilität zeigen für die Wirkweisen von Verunsicherung und Angst - und Gegenkräfte entwickeln." Eindringlich warnte er davor, sich dem Streit mit Wählern der Populisten zu entziehen. Überzeugte Demokraten dürften aus Abneigung gegenüber den "Führern und Verführern" nicht deren Wähler ausgrenzen: "Die Verunsicherten sind mehrheitlich noch keine Demokratiefeinde. Sie sind zu gewinnen, wenn die Demokratie sie wahrnimmt und verständlich anspricht." Argumente statt Arroganz gegen die Alternative, das ist Gaucks Rezept.

Gauck: Auch Verlierern des Wandels muss beigestanden werden

Zuvor hatte Gauck in seiner Rede gezielt an die Befürworter von Globalisierung und gesellschaftlichem Wandel appelliert, sich "achselzuckende Gleichgültigkeit und kulturelle Arroganz" zu sparen. Gauck fügte hinzu: "Leisten wir uns als Demokraten tatsächliche Debatten mit Andersdenkenden und vor allem Anderslebenden!"

Gauck beschrieb die Gefahr, dass immer mehr Menschen "Zuflucht in sich abkapselnde, identitätsstiftende Klein- und Kleinstgruppen" suchten. Das untergrabe den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Zugleich forderte Gauck die Politik auf, den potentiellen Verlierern des wirtschaftlichen Strukturwandels und der Globalisierung beizustehen: "Sorgen wir in politischen Entscheidungen dafür, dass alle Menschen in unserem Land die Lasten der Veränderung gemeinsam tragen." So drohe etwa die Digitalisierung bis 2025 bis zu 1,6 Millionen Jobs zu vernichten.

Es sei immer ein Kernversprechen der Bundesrepublik gewesen, auch diesen Menschen eine neue Chance zu eröffnen. Wer den Wandel nicht bewältige, müsse zudem "auf die Solidarität der Gesellschaft zählen können und abgefedert werden."

Gauck schloss seine gut einstündige Rede mit einem Plädoyer für Aufklärung und Patriotismus. "Aufgeklärt sind wir, weil wir nicht nachplappern, was so leicht und so gefährlich ist: "Right or wrong - my country", rief er den Studierenden mit bebender Stimme zu. "Und Patrioten sind wir, weil wir Heimat haben in einem Land, das unseren Werten ein Zuhause bietet."

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