Süddeutsche Zeitung

Europawahl:Die Gewinner der Brexit-Verschiebung

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Von Karoline Meta Beisel und Matthias Kolb, Brüssel

Beim Brexit gebe es nur Verlierer, heißt es oft. Für die Sozialdemokraten im Europaparlament aber könnte sich das, was das Vereinigte Königreich mit den vereinigten Rest-EU-Staaten in der Nacht zum Donnerstag vereinbart hat, als Gewinn erweisen. Denn nach der erneuten Verschiebung des Austrittstermins werden die Briten ziemlich wahrscheinlich an der Europawahl teilnehmen. Davon würden die Sozialdemokraten wohl am meisten profitieren. Derzeit stellt Labour 20 der insgesamt 73 britischen Abgeordneten. Wenn die Briten mitwählen, dürfte Labour jüngsten Umfragen zufolge deutlich zulegen, von knapp einem Viertel der Stimmen 2014 auf dann 38 Prozent. Der verschobene Brexit könnte den Sozialdemokraten den Zuwachs bringen, der ihnen sonst nicht gelingen will.

Insgesamt aber macht sich im Europaparlament Unmut über die Staats- und Regierungschefs breit. "Das Europaparlament ist kein Kasperletheater", mahnte etwa Parlamentspräsident Antonio Tajani von der EVP-Fraktion am Mittwochabend. "Wir werden gegen alles kämpfen, das das Ansehen unserer Institution beschädigen könnte." Das Parlament muss zwar einen etwaigen Austrittsvertrag mit den Briten ratifizieren. Vorher hat es allerdings nicht viel mitzureden. Und das, obwohl die Aussicht auf Europawahlen in Großbritannien im EU-Parlament enorme Unsicherheit verursacht.

Wie lange bleiben die britischen Abgeordneten? Kann man sie noch mit wichtigen Gesetzgebungsvorhaben oder gar mit Führungsaufgaben betrauen? Dürfen sie Ausschussposten besetzen, die den anderen Parlamentariern dann nicht zur Verfügung stehen? Sie finde es gut, dass ein No-Deal-Brexit verhindert wurde, aber auch dass geklärt sei, dass die Briten bis spätestens Oktober entscheiden müssten, was sie wollten, sagt die Abgeordnete Angelika Niebler (CSU). "Was der Europäische Rat allerdings gezeigt hat, ist, dass auf die Institution Europäisches Parlament wenig Rücksicht genommen wird."

Das EU-Parlament wollte die Sitze neu verteilen. Das wird erst einmal verschoben

Eine Zweiklassengesellschaft im Parlament mit Abgeordneten, die unterschiedliche Rechte innehaben, kommt schon aus juristischen Gründen nicht infrage. Es sei klar, dass jeder Brite "im neuen Parlament die gleichen Rechte hat wie alle anderen Parlamentarier auch", sagt etwa Udo Bullmann, der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten. Oder, wie es sein grüner Kollege Philippe Lamberts formuliert: "Solange sie nicht draußen sind, sind sie drin."

Nicht zuletzt muss geklärt werden, wie viele Abgeordnete das neue Parlament überhaupt haben soll. Ursprünglich war geplant, dass einige Länder mit dem Ausscheiden der Briten Sitze hinzubekommen, etwa Spanien oder Frankreich. Ansonsten sollte das Parlament einfach kleiner werden. Diese Regel ist nun aber hinfällig - oder soll sie doch wieder gelten, sobald die Briten die Union verlassen haben?

Das Ringen um den Brexit dürfte jedenfalls nicht nur die Kandidaten für das Parlament, sondern auch deren Wähler beeinflussen. "Ich spüre im Wahlkampf, dass die Leute das Thema Brexit mittlerweile nervt, und hoffe nicht, dass der Eindruck entsteht, die EU setze sich nicht durch, weil immer weiter verlängert wird", sagt Angelika Niebler. "Ich habe die Sorge, dass dies eher den Rechtspopulisten hilft."

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SZ vom 12.04.2019
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