Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Brisante Post an Polen und Ungarn

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Die EU-Kommission bereitet den erstmaligen Einsatz des neuen Rechtsstaatsmechanismus vor. Damit kann Brüssel Fördergelder für Polen und Ungarn kürzen. Briefe an die beiden Regierungen listen nun die bohrenden Fragen auf.

Von Björn Finke, Brüssel

Der Brief der EU-Kommission an die ungarische Regierung hat elf Seiten, der an Polen zwölf. Die Schreiben zählen Missstände und Mängel bei Rechtsstaatlichkeit, Budgetkontrolle und Korruptionsbekämpfung auf. Und sie verlangen detailliert Auskunft, was die Regierungen in Warschau und Budapest dagegen zu tun gedenken. Unterzeichnet sind sie "Hochachtungsvoll" von Gert Jan Koopman, dem Generaldirektor der Haushaltsabteilung in der Kommission.

Die beiden langen Briefe des Niederländers lassen nun eine Premiere näher rücken: den erstmaligen Einsatz des neuen Rechtsstaatsmechanismus. Der erlaubt es der Brüsseler Behörde, EU-Mittel zu kürzen oder zurückzuhalten, wenn Mängel im Justiz- oder Kontrollsystem des Empfängerlands die ordnungsgemäße Verwendung gefährden.

Das Europaparlament verlangt schon länger, dass die Kommission dieses Instrument nutzt, als Reaktion auf den Abbau des Rechtsstaats in Polen und Ungarn. Die Abgeordneten reichten deswegen sogar eine Klage gegen die Behörde beim Europäischen Gerichtshof ein. Doch die zwei Briefe, die Ende voriger Woche verschickt wurden, stellen nicht die Eröffnung eines Verfahrens dar. Sie sind vielmehr informelle Bitten um Informationen. Die Regierungen haben zwei Monate Zeit für ihre Antworten. Falls diese die Kommission unzufrieden zurücklassen, könnte das freilich schnell in den Start offizieller Verfahren münden.

Trotzdem sind Kritiker im EU-Parlament verärgert: "Es ist enttäuschend, dass sich mit diesen beiden Briefen Sanktionsverfahren um mindestens zwei weitere Monate verzögern", sagt der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund. "Beide Briefe zeigen aber auch: Der EU-Kommission sind die massiven Rechtsstaatsmängel in vollem Umfang bewusst." Es sei schwer vorstellbar, dass Warschau und Budapest mit ihren Erwiderungen "ein Sanktionsverfahren noch abbiegen können".

Dass die Kommission mit offiziellen Verfahren wartet, liegt an einer Absprache der 27 Staats- und Regierungschefs. Die haben vereinbart, dass die Behörde erst zur Tat schreiten soll, wenn der Europäische Gerichtshof über eine Klage Polens und Ungarns gegen den neuen Mechanismus befunden hat. Kommende Woche Donnerstag wird der Generalanwalt seine Schlussanträge vortragen, das Urteil könnte dann Anfang 2022 fallen.

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