Süddeutsche Zeitung

EU und Türkei:Angebote an Erdoğan

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EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Ratspräsident Michel stellen der Türkei bei ihrem Besuch in Ankara eine stärkere Zusammenarbeit in der Wirtschaft und bei der Migration in Aussicht. Sie soll aber "umkehrbar" sein.

Von Matthias Kolb, Brüssel

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel haben nach ihrem Treffen mit Präsident Recep Tayyip Erdogan in Ankara erklärt, dass die Türkei daran interessiert sei, wieder "konstruktiv" mit der Europäischen Union zusammenzuarbeiten. Michel nannte drei Felder, auf denen die Türkei im Falle einer dauerhaften Deeskalation mit Angeboten rechnen könne: Neben der Kooperation in Wirtschaftsfragen sollen die Zusammenarbeit im Migrationsbereich ausgebaut und die Kontakte zwischen Menschen intensiviert werden. Von der Leyen erwähnte auch Klimaschutz und den Kampf gegen die Corona-Pandemie.

Die beiden waren in die Türkei gereist, um mit Präsident Erdogan nach dem EU-Gipfel über weitere Schritte zu sprechen. Ende März hatten die Staats-und Regierungschefs der EU der Türkei eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie erste Schritte für eine Modernisierung der Zollunion in Aussicht gestellt, nachdem Ankara in diesem Jahr bislang Provokationen weitgehend unterließ. Die EU will "auf abgestufte, verhältnismäßige und umkehrbare Weise" mit der Türkei in Verbindung treten, wie Michel sagte. Dies schließt weitere oder auch schärfere Sanktionen nicht aus. Besonders wichtig ist Brüssel, dass die Türkei konstruktiv nach einer Lösung von Konflikten mit den EU-Ländern Griechenland und Zypern sucht.

Michel und von der Leyen klagten über Rückschritte in der Menschenrechtspolitik und kritisierten bei der Pressekonferenz, die ohne Erdogan stattfand, den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Dies sei das "falsche Signal", sagte von der Leyen, und man dränge Ankara darauf, die Entscheidung rückgängig zu machen.

Lambsdorff nennt einen Abbruch der EU-Aufnahmegespräche "überfällig"

Aus EU-Kreisen war zu hören, dass Michel und von der Leyen gegenüber Erdogan betont hätten, dass eine "solche Positivagenda" von den europäischen Gesellschaften nur akzeptiert werden würde, wenn sich in der Türkei die Lage bei Menschen- und Frauenrechten sowie Presse- und Meinungsfreiheit verbessere. Beide lobten, dass die Türkei etwa vier Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat. Nach einem Besuch von der Leyens in Jordanien, der für Mittwoch geplant ist, will die Kommission bald Vorschläge präsentieren, wie die EU die Versorgung und Schulbildung der Geflüchteten in der Türkei, in Jordanien und Libanon finanzieren kann.

Der Besuch der EU-Spitzenpolitiker in Ankara war zuvor von mehreren Bundestagsabgeordneten kritisiert worden. Der Grüne Cem Özdemir beklagte auf Twitter eine "Brüsseler Selbstverzwergung" und sprach von einem "Hohn für alle Demokrat*innen der Türkei". Alexander Graf Lambsdorff von der FDP sagte, es sei "nicht der Zeitpunkt, die Politik des türkischen Staatspräsidenten Erdogan mit PR-kräftigen Bildern zu belohnen". Weil in der Türkei seit Jahren die Gewaltenteilung verletzt und Grund- und Bürgerrechte außer Kraft gesetzt würden, nannte der frühere EU-Abgeordnete den Abbruch der seit 2005 laufenden EU-Beitrittsgespräche "überfällig".

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