Süddeutsche Zeitung

Zum Tod des früheren Verteidigungsministers:Rumsfeld hat den USA mehr geschadet als geholfen

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Der Verteidigungsminister unter George W. Bush war einer der umstrittensten Politiker der jüngeren amerikanischen Geschichte. In Europa galt er als Spalter und gewissenloser Schurke.

Von Hubert Wetzel

Über die Toten, so heißt es, solle man nur Gutes sagen. Aber vielleicht fände sogar Donald Rumsfeld das langweilig. Der frühere US-Verteidigungsminister ist in seinem politischen Leben selten einem Streit aus dem Weg gegangen. Und er hat sich nie besonders darum gekümmert, was andere von ihm halten. Warum sollte das nach seinem Tod anders sein?

Es wäre zudem, auch das gehört zur Wahrheit, nicht leicht, an Donald Rumsfeld zu erinnern, ohne dabei Kritik zu äußern. Rumsfeld ist am Mittwoch an Blutkrebs gestorben, im Alter von 88 Jahren. Doch aus diesen fast neun Jahrzehnten stechen sechs Jahre heraus, in denen er für Entscheidungen verantwortlich war, die ihn zu einem der umstrittensten Politiker der jüngeren amerikanischen Geschichte gemacht und den Ruf der Vereinigten Staaten bis heute beschädigt haben.

Diese sechs Jahre begannen am 20. Januar 2001. Das war der Tag, an dem George W. Bush als neuer Präsident der Vereinigten Staaten sein Amt antrat und Rumsfeld als dessen Verteidigungsminister vereidigt wurde. Im Gegensatz zu Bush war Rumsfeld damals schon ein Washingtoner Veteran - er hatte in den Sechzigerjahren als Abgeordneter im US-Kongress gesessen, danach im Weißen Haus Richard Nixon beraten und Mitte der Siebzigerjahre Nixons Nachfolger Gerald Ford als Stabschef gedient.

Ende 1975 machte Ford Rumsfeld zum ersten Mal zum Verteidigungsminister. Damals hatte er das Amt nur ein gutes Jahr inne. Aber als er 2001, nach einer durchaus lukrativen Karriere in der Privatwirtschaft, ins Pentagon zurückkehrte, kannte er das Ressort und die Washingtoner Bürokratie bereits in- und auswendig.

Rumsfeld war Cheneys Hardliner im Pentagon

Und Rumsfeld kannte noch jemanden: Dick Cheney, den Vizepräsidenten. Die beiden hatten gemeinsam für Ford gearbeitet. Und es war Cheney, der Anfang 2001 dem unerfahrenen Bush vorschlug, Rumsfeld zurück in den Regierungsdienst zu holen.

Cheney hatte dabei einen Hintergedanken: Bush hatte, vielleicht eher aus Respekt denn aus ideologischer Überzeugung, den früheren General Colin Powell zum Außenminister ernannt, der trotz - oder gerade wegen - seiner Militär- und Kriegserfahrung ein moderater Sicherheitspolitiker war, keinesfalls ein Haudrauf. Cheney, der Powell für zu weich hielt, wollte im Pentagon als Gegengewicht einen Hardliner installieren. Das war Donald Rumsfeld.

Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte. Am 11. September 2001 griff das Terrornetzwerk al-Qaida die USA an. In New York krachten Flugzeuge in die Türme des World Trade Center. Vor den Toren Washingtons bohrte sich eine Maschine in die Seite des Pentagon. Rumsfeld war zu diesem Zeitpunkt im Gebäude. Es gibt Filmaufnahmen, die zeigen, wie er dabei hilft, Verwundete wegzutragen.

Danach wurde Rumsfeld zu einer der treibenden Kräfte hinter dem, was von der US-Regierung als "War on Terror" bezeichnet wurde, was in Wahrheit jedoch kaum mehr war als ein wilder Rachefeldzug gegen Feinde der USA. Zusammen mit der CIA organisierte Rumsfeld zunächst den Afghanistan-Krieg.

Rumsfelds Kriegskonzept ging im Irak gründlich schief

Wie ein stolzer Vater hielt er damals im Presseraum des Pentagon Fotos von US-Elitesoldaten in die Luft, die auf Pferden saßen und in den Kampf gegen die Taliban ritten. Auch die bewaffneten Drohnen, die in jener Zeit erfunden wurden, fand er sehr beeindruckend. Für den früheren Pharma-CEO war das die Zukunft des Krieges - schnell, beweglich, leicht und vorzugsweise aus der Luft geführt. Ohne schwerfällige Panzer- und Infanteriedivisionen.

Im Irak ging dieses Konzept eines Krieges zum Spartarif dann gründlich schief. Wobei Rumsfeld dieses Urteil stets bestritten hat, weil ihm die Prämisse nicht gefiel. Er sah es als Verteidigungsminister als seinen Auftrag an, das Regime von Saddam Hussein so schnell wie möglich militärisch zu besiegen. Das ist ihm 2003 in der Tat gelungen. Für die anschließende Besatzung und den wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau des Landes fühlte sich Rumsfeld hingegen nie zuständig.

Entsprechend dürftig war die Planung des Pentagon für die Zeit nach dem Sturz Saddam Husseins. "Freie Menschen haben die Freiheit, schlechte Dinge zu tun", sagte Rumsfeld achselzuckend, als in Bagdad kurz nach der Eroberung der Stadt das Chaos ausbrach und die Museen geplündert wurden.

Das war einer der Aphorismen, für die der Minister berühmt war. Doch für den Irak waren die Folgen von Rumsfelds Ignoranz und Desinteresse verheerend. Das Land versank in einem Strudel aus Gewalt und Blut. Hunderttausende irakische Zivilisten und Tausende amerikanische Soldaten wurden mitgerissen. Rumsfeld übertünchte seine Fehler mit Sprüchen. Es gebe eben "bekanntes Unbekanntes und unbekanntes Unbekanntes", philosophierte er. Übersetzt: alles nicht seine Schuld.

Unter Rumsfeld gab es Folterungen in Abu Ghraib

Die schlechte Vorbereitung der Irak-Besatzung führte zu einem der größten Skandale, die das US-Militär je erschüttert haben. Um Erkenntnisse über die Aufständischen zu gewinnen, die reihenweise GIs töteten, sperrte die amerikanische Armee im Gefängnis Abu Ghraib wahllos verdächtige Zivilisten ein und ließ diese von den Wachen foltern.

Auch im Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba, das dem US-Militär untersteht, hatte Rumsfeld Zwangsmaßnahmen und Folter gebilligt, um Häftlingen Informationen abzupressen. Als im Frühjahr 2004 die Fotos aus Abu Ghraib bekannt wurden, war zumindest in Europa Rumsfelds Ruf als gewissenloser Schurke besiegelt.

Nicht dass sein Ruf zuvor besonders gut gewesen wäre. Rumsfeld galt schon vorher als Kriegstreiber - durchaus zu Recht, wenn man sich ansieht, wie er vor der Invasion die Lügen der Bush-Regierung über die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen weiterverbreitet hat.

Und Rumsfeld galt in Europa als Spalter. Auch dieser Vorwurf war berechtigt: Im Januar 2003 tat er jene europäischen Länder, die wie Deutschland und Frankreich einen Angriff auf den Irak ablehnten, verächtlich als "altes Europa" ab. Das "neue Europa", das waren die Balten und Osteuropäer, die den Irak-Krieg unterstützten.

Und Joschka Fischer sagte: "Ich bin nicht überzeugt."

In Berlin und Paris war die Wut über diese Äußerung gewaltig. Im Februar 2003 stritt sich Rumsfeld dann mit dem damaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer auf der Sicherheitskonferenz in München über die bevorstehende Invasion. Er sei von der Weisheit einer militärischen Lösung "nicht überzeugt", beschied Fischer dem Amerikaner, der so offene Widerworte nicht gewohnt war. Heute weiß man, wer auf der richtigen Seite der Geschichte stand.

Am Ende seiner Amtszeit war Rumsfeld auch in Washington kein sehr beliebter Mann mehr. Bush misstraute ihm, weil er spürte, dass sein Minister nichts von der ganzen Freiheitsagenda des Präsidenten hielt.

Aus Rumsfelds Sicht war das US-Militär ein Instrument, um Kriege zur Durchsetzung amerikanischer Interessen zu führen und zu gewinnen - kein Werkzeug, um fernen Ländern Demokratie und Menschenrechte zu bringen. Rumsfeld war in dieser Hinsicht kein idealistischer "Neocon", sondern ein Konservativer der alten Schule, eher uni- als multilateral und eher nationalistisch als am Wohle der Welt orientiert. Im Dezember 2006 entließ Bush Rumsfeld.

In den kommenden Wochen endet auf Geheiß von Präsident Joe Biden auch der US-Einsatz in Afghanistan, jener "Forever War", den Rumsfeld vor zwanzig Jahren begann und der längst nichts mehr mit den schneidigen Reiterattacken amerikanischer Special Forces aus der Anfangszeit zu tun hatte. Donald Rumsfeld wird dieses Ende nicht mehr miterleben.

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