Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Nordkorea hat Covid-19

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Das Regime von Kim Jong-un meldet den ersten Pandemie-Toten und reagiert mit harten Lockdowns. Ohne Impfschutz droht dem armen Land ein Desaster.

Von Thomas Hahn, Glen Innes

Auch am Freitag gab es noch keine sichtbaren Zeichen dafür, dass Nordkoreas Regime jemanden um Hilfe bitten wollte in seiner ersten offiziellen Coronavirus-Krise. Das Arbeiterpartei-Organ Rodong Sinmun erweckte eher den Eindruck, als habe Machthaber Kim Jong-un alles im Griff. Die Nachrichten, welche die Zeitung ansonsten zu vermelden hatte, klangen allerdings nicht rosig. Einen Tag, nachdem sie zum ersten Mal während der Pandemie einen nordkoreanischen Positivtest auf die Omikron-Mutante aus der Hauptstadt Pjöngjang gemeldet hatte, gab sie auch schon den ersten Corona-Toten bekannt.

Rodong Sinmun schrieb: "Allein am 12. Mai trat landesweit bei rund 18 000 Menschen Fieber auf, und bis jetzt werden bis zu 187 800 Menschen isoliert und behandelt. Sechs Personen starben (eine davon wurde positiv auf die BA.2-Subvariante von Omikron getestet)." Kim Jong-un habe wiederholt, wie wichtig jetzt der nationale Lockdown sei.

Nordkorea hat Covid-19. Das räumt die Parteidiktatur plötzlich selbst ein. Die Gesundheitslage der Nation muss also ernst sein. Dass die Staatsmedien bisher immer berichteten, es gebe in Nordkorea keine Infektionen, war wohl nur ein Propaganda-Kniff. "Es gab frühere Fälle in den ländlichen Gebieten", schreibt Andrei Lankov, Nordkorea-Experte von der Kookmin-Universität in Seoul auf SZ-Anfrage, "das ist nicht der erste Lockdown." Die früheren zielten auf einzelne Landkreise oder Städte ab. Jetzt ist die Lage anders. Viel schwieriger. Andrei Lankov: "Das ist der erste Lockdown in der Hauptstadt."

Nordkoreas Regierung wusste immer, dass sie einen Ausbruch in der Millionenmetropole Pjöngjang vermeiden muss. Das Gesundheitssystem ist zu schwach für massenhaft Lungenkranke. Es gibt zwar Ärzte, aber sehr wenige Medikamente und medizinische Instrumente. Deshalb schottet Kim Jong-un sein Land seit Anfang 2020 so konsequent gegen die Außenwelt ab, wie es das vorher nicht gab.

Nordkorea überlebt dank China

Fast jeder Handel wurde eingestellt, die Einreise weitestgehend verboten. Auch im Land durfte man nicht mehr beliebig herumfahren. Die Lebensbedingungen verschlechterten sich. Hilfsorganisationen und Diplomaten verließen Pjöngjang. Seither überlebt Nordkorea in erster Linie dank China. China schickt Öl per Pipeline und Getreide oder Dünger per Schiff nach Nampo oder in wenige andere Hafenstädte.

Kein Nordkorea-Beobachter weiß genau, wie sich der wirtschaftliche Stress durch die Pandemie auf die 25,5 Millionen Menschen im Land auswirkt. Kim Jong-un selbst hielt er jedenfalls nicht davon ab, seit Jahresbeginn mit ungewöhnlich vielen Raketentests Zeichen der Stärke zu setzen. Vielleicht genoss Kim die Isolation sogar und wurde unvorsichtig.

Cheong Seong-chang, Direktor des Zentrums für Nordkorea-Studien am Sejong-Institut, beobachtete zum Beispiel am 25. April bei der Parade zum 90. Jahrestag der Gründung der Koreanischen Volksarmee Zehntausende maskenlose Menschen auf engem Raum. Das könne ein sogenanntes Superspreader-Event gewesen sein, vermutet Cheong im Portal NK News: "Nordkorea war zu sehr von seinen Quarantänefähigkeiten überzeugt. Es hat eine so große Militärparade mit vielen Zuschauern abgehalten, obwohl im benachbarten China Omikron wütete."

Und nun? Nordkorea hat Angebote für Impfstoffe bisher immer abgelehnt. Sofern das Kim-Regime nicht eine geheime Massenimmunisierung vorgenommen hat, ist die gesamte Bevölkerung ungeimpft. Eine großflächige Ausbreitung kann Nordkorea sich auch deshalb nicht leisten. Lockdowns nach Chinas Vorbild scheinen der Weg zu sein. "Aber das Problem ist, dass Nordkorea viel ärmer ist und nicht die Logistik hat, um den Menschen Essen und andere Notwendigkeiten zu bringen", sagt Lankov. Früher in der Pandemie gab es mal Gerüchte, wonach nordkoreanische Menschen im Lockdown verhungert seien. Wenn sich Nordkorea nicht helfen lässt, glaubt Andrei Lankov, "könnte sich der Lockdown in ein echtes Desaster entwickeln".

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