Süddeutsche Zeitung

China und die EU:Strafen und Vergeltung

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Peking reagiert wütend auf EU-Strafmaßnahmen wegen seines Umgangs mit den Uiguren. Einige EU-Abgeordnete stellen nun das Investitionsabkommen infrage.

Von Lea Deuber, Matthias Kolb und Nadia Pantel, Peking, Brüssel, Paris

Als Reaktion auf die chinesischen Sanktionen gegen acht Abgeordnete, zwei Wissenschaftler und vier Institutionen aus EU-Ländern hat die Bundesregierung auf einem Gespräch mit Chinas Botschafter in Berlin "bestanden". Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte, Staatssekretär Miguel Berger habe Ken Wu "sehr deutlich" gemacht, dass die Maßnahmen "nicht nachvollziehbar" seien. Zuvor hatte bereits Staatsminister Niels Annen gefordert, die Maßnahmen "umgehend zurückzunehmen". Betroffen sind unter anderem die Abgeordneten Reinhard Bütikofer (Grüne) und Michael Gahler (CDU), der China-Forscher Adrian Zenz und das Mercator-Institut für China-Studien (Merics).

China hatte die Maßnahmen am Montag erlassen, nachdem die Außenminister der 27 EU-Mitgliedstaaten in Abstimmung mit Großbritannien, den USA und Kanada Sanktionen gegen vier Behörden und Parteivertreter sowie eine Einrichtung in der Region Xinjiang verhängt hatten. Sie alle werden für Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren verantwortlich gemacht.

In Brüssel kritisierte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Pekings Gegenmaßnahmen und sprach von "einer neuen Situation". Viele EU-Staaten hielten es wegen des Drucks aus Washington und wegen der überwiegend kritischen Reaktionen auf das Ende 2020 ausgehandelte Investitionsschutzabkommen für nötig, die seit Jahren bekannten Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang zu sanktionieren.

Die Härte der chinesischen Reaktion überraschte in Brüssel trotz aller Vorwarnungen und Einschüchterungsversuche viele. Es war eine maßvolle Antwort erwartet worden, die Chinas Standpunkt klarmachen würde, ohne die EU zu verärgern und damit in die Arme der USA zu treiben.

"Disproportionale, nicht weise Entscheidung"

Die harte Reaktion aus Peking stellt auch das Investitionsabkommen infrage, das "mit Ach und Krach" beschlossen worden war, wie eine mit den Verhandlungen vertraute Person das zähe Ringen beschrieb. Der Abschluss war besonders von Berlin vorangetrieben worden.

Das Abkommen muss noch vom EU-Parlament angenommen werden. Dort mehren sich jetzt die Stimmen, die eine Ratifizierung nun für "undenkbar" halten. So formuliert es etwa Marie-Pierre Vedrenne, die das Dossier bei den Liberalen betreut. Eine zentrale Rolle spielt als Berichterstatter der rumänische Christdemokrat Iuliu Winkler, der auf Twitter schrieb: "Die EU steht für Werte und Prinzipien, sowohl zu Hause als auch in aller Welt."

Im Gespräch mit der SZ sagte der nun sanktionierte Grüne Reinhard Bütikofer, dass China "in seiner Machttrunkenheit das eigene Blatt falsch eingeschätzt" habe. Es reiche in parlamentarischen Demokratien nicht, sich nur mit Regierungen zu einigen: "Mit ihrer Reaktion haben die Chinesen eine Einheitsfront geschaffen, die ihnen nicht gefallen kann." Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking, sprach von einer "disproportionalen, nicht weisen Entscheidung", die eine Ratifizierung des Investitionsabkommens verzögern, wenn nicht gar gefährden könnte.

Chinas Botschafter in Paris beschimpft Wissenschaftler

Sanktioniert wurde auch das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK), in dem die EU-Staaten außenpolitische Entscheidungen vorbereiten. Die 27 PSK-Botschafter setzten am Dienstag ein Zeichen, das Peking ärgern dürfte: Per Videokonferenz sprachen sie mit den sich im Exil befindenden Hongkonger Aktivisten Nathan Law und Ted Hui.

Zu den EU-Parlamentariern, die nicht mehr nach China einreisen dürfen, gehört auch der Franzose Raphaël Glucksmann (Sozialisten), der sich ausdauernd für die Rechte der Uiguren einsetzt. "Von Tyrannen sanktioniert zu werden, ist eine Ehre", reagierte Glucksmann auf Twitter. Jeder habe sich "schon einmal gefragt, was er 1942 getan hätte", schrieb Glucksmann weiter. Heute müsse man sich die Frage stellen: "Was tun wir 2021 angesichts eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit?"

Am Montagabend bestellte das französische Außenministerium Chinas Botschafter in Paris ein, Lu Shaye. Der hatte zuvor den Wissenschaftler Antoine Bondaz angegriffen und ihn auf Twitter als "Kleinganoven" bezeichnet. Bondaz forscht für die Denkfabrik "Fondation pour la recherche stratégique" zu Taiwan und hatte öffentlich eine Reise französischer Senatoren in die Demokratie vor Chinas Küste unterstützt. Nachdem Bondaz in Reaktion auf die Beschimpfung massive Unterstützung erfuhr, legte Botschafter Lu nach. Es handele sich bei Bondaz nicht um einen Wissenschaftler, sondern um einen "ideologischen Troll".

Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian reagierte: "In unseren Beziehungen mit China ist kein Platz für Beleidigungen und Einschüchterungsversuche gegen Abgeordnete und Wissenschaftler", schrieb er auf Twitter. "Wir verteidigen diejenigen, die die Meinungsfreiheit und die Demokratie verkörpern."

Aus Protest gegen die Sanktionen der EU hat China neben dem britischen Botschafter auch den EU-Botschafter einbestellt. Eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums erklärte am Dienstag, westliche Staaten sollten sich keine Illusionen machen. Es sei üblich, mit gleichen Mitteln zu reagieren: "Sie werden einen Preis für ihre Ignoranz und Arroganz zahlen."

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