Süddeutsche Zeitung

China auf Deutschland-Besuch:Xi nutzt das weltpolitische Vakuum

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Peking profitiert still von den Tölpeleien der USA. Ob Klima, Handel oder Investitionen: Präsident Xi fährt als großer Gewinner der geopolitischen Turbulenzen zum G-20-Gipfel. Aber Vorsicht: Die Europäer sollten genau hinschauen.

Kommentar von Kai Strittmatter

Das Wirken und Wüten des amerikanischen Präsidenten hat schon in den wenigen Monaten seit seinem Amtsantritt die Welt verändert. Die Ironie dabei ist, dass alle debattieren, ob Donald Trump nun das Geschäft Russlands erledigt, während de facto der große Profiteur der amerikanischen Selbstsabotage ein anderes Land ist: China. Nun trifft Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping in Deutschland ein, zuerst als Staatsgast, dann als G-20-Teilnehmer. Es sind Bühnen, wie sie Xi zuletzt mit Freude genutzt hat. Xi wird China auch diesmal als Freund des Freihandels und Champion des Klimaschutzes präsentieren, als verantwortungsbewusste Kraft. Kurz: als all das, was die USA offenbar nicht länger sein wollen.

Es ist erstaunlich, wie anders China heute dasteht als noch vor sechs Monaten. Dabei hat dem Land weniger sein Charisma geholfen als vielmehr die Tatsache, dass die USA ihre Verbündeten vor den Kopf stoßen. Die Kündigung des Klimaabkommens, die Brüskierung der Nato-Partner, und (für China wohl am wichtigsten) die Aufkündigung des Vertrages über die transpazifische Partnerschaft in Asien: Peking kann sein Glück kaum fassen über das Vakuum, das sich plötzlich auftut.

In Xi Jinping hat es eine Führungsfigur, die zumindest rhetorisch die Lücke gut zu nutzen verstand. Eine diplomatische Meisterleistung, wie China sein "Neues Seidenstraßen"-Projekt innerhalb kürzester Zeit von einem Programm für den Export chinesischer Überkapazitäten zu einer Art globaler Marshall-Plan umdeutete. Klar ist: Von jetzt an will China mitbestimmen und eine Globalisierung nach eigenen Ideen bauen.

Vorsicht: Peking profitiert still von den Tölpeleien der USA

Für die Europäer gilt es, genau hinzuschauen. Erst einmal scheint China auch selbst noch lange nicht bereit und willens zu sein für eine globale Führungsrolle. Es scheut die Verantwortung und die Risiken, die das mit sich brächte. Auch sonst ist die Kluft zwischen Schein und Sein gewaltig. Xi preist den Freihandel und meint doch allein den Handel zum Wohle seiner Industrie. Zu Hause praktiziert er knallharten Protektionismus. China gibt den Klimaschützer und ist doch mit seinen Kohletechnologie-Exporten die treibende Kraft für den weltweiten Ausbau des Klimakillers Nummer eins, der Kohlekraft. Ungeachtet aller Rhetorik von Partnerschaft spielt China längst mit harten Bandagen. Es spaltet immer wieder die EU, indem es sich über Länder wie Griechenland und Ungarn Einfluss auf EU-Entscheidungen kauft.

Generell darf man sich fragen, wie sehr eine von China dominierte Welt offene, regelbasierte Strukturen erlauben würde. Xi Jinping hat vor ein paar Tagen Hongkong besucht. Hernach machte Chinas Außenministerium Schlagzeilen, weil es erklärte, die "Gemeinsame Erklärung von China und Großbritannien" aus dem Jahr 1984 sei lediglich "ein historisches Dokument ohne jede praktische Bedeutung" und "nicht mehr bindend" für Peking. Es handelt sich dabei um jenes Dokument, das Hongkongs Rückkehr nach China ermöglichte, und in dem eine Garantie für Hongkongs Freiheiten niedergelegt wurde.

Chinas Erklärung ist beunruhigend, ähnlich wie auch sein aggressiv-expansives Verhalten im Südchinesischen Meer (das Land ist ein Unterzeichner der UN-Seerechtskonvention). Peking muss sich in solchen Momenten fragen lassen, wie viel die Unterschrift unter internationale Abkommen wert ist. Genau das zeigt aber auch, warum es keineswegs nur sentimentaler Luxus, sondern von essentieller Bedeutung ist, wenn die EU sich um Bürgerrechte und den Rechtsstaat innerhalb Chinas sorgt. Eine Regierung, die sich daran gewöhnt hat, dass Regeln und Gesetze nichts gelten im Angesicht der Macht, wird mit wachsendem globalen Einfluss mehr und mehr versucht sein, solches Gebaren auch nach außen zu tragen.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2017
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