Süddeutsche Zeitung

Neuer Chef der Jungen Union:So rustikal wie am Aschermittwoch

Lesezeit: 3 min

Von Robert Roßmann, Berlin

Am Ende hat es Tilman Kuban also doch noch geschafft - und das sogar überraschend deutlich. Im Rennen um den Vorsitz der Jungen Union galt lange Stefan Gruhner aus Thüringen als Favorit. Doch nach einer Bewerbungsrede, die in ihrer Wucht und Rustikalität einem Aschermittwochsauftritt glich, wurde am Samstag Kuban zum neuen JU-Chef gewählt.

Der Niedersachse erhielt auf dem Deutschlandtag in Berlin 200 Stimmen, Gruhner lediglich 119. Dabei hatten sich zuvor die großen Landesverbände Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen für Gruhner ausgesprochen. In den vergangenen Wochen hatten Kubans Mannschaft zwar gespürt, dass die Chancen ihres Kandidaten steigen, aber einen derart deutlichen Sieg hatten nicht einmal sie erwartet.

Gruhner war der erfahrenere Kandidat, er ist seit fast einem Jahrzehnt Landesvorsitzender in Thüringen, seit 2014 sitzt er dort auch im Landtag. Aber die Junge Union bevorzugte den Bewerber, der sich auch als Kandidat der Basis gegen das Establishment inszenierte - und der in seiner Bewerbungsrede die politischen Gegner, aber auch vieles in der eigenen Partei in einer Weise attackierte, wie man es auch in der nicht für Zurückhaltung bekannten JU lange nicht mehr erlebt hat.

Es dürfe nicht sein, "dass die Verteidigungsministerin mehr Kinder hat als fliegende Flugzeuge", schimpfte Kuban über Ursula von der Leyen. Er versprach, "bis zur letzten Patrone für die Meinungsfreiheit" und deshalb gegen die Upload-Filter zu kämpfen, die Angela Merkels Regierung unterstützt. Und er schrie in den Saal: "Wenn die Linken in unserem Land sich hinstellen und lieber für die Schultoiletten des dritten bis 312. Geschlechts kämpfen", dann stünde die Junge Union auf und rede "Klartext". Dem Juso-Vorsitzenden Kühnert empfahl er wegen dessen Sympathie für die Enteignung von Wohnungsunternehmen: "Kevin, mach dein Studium fertig, dann kannst du dir eine eigene Wohnung leisten."

Kuban verlangte aber auch in der Innen- und Flüchtlingspolitik ein viel härteres Durchgreifen. In Deutschland sei nicht willkommen, wer sich nicht an die Gesetze halten wolle - schließlich gelte hier nicht die Scharia, sagte der 31-Jährige. Er hatte bereits im Oktober 2015 einen Brandbrief von CDU-Politikern gegen Merkels Asylpolitik unterzeichnet - und gehörte damit zu den ersten in der CDU, die sich deutlich gegen die Kanzlerin stellten. Seine Wahl zum JU-Vorsitzenden ist ein weiteres Zeichen dafür, dass in der CDU die Zeit der Abnabelung von Angela Merkel begonnen hat. Kuban wurde auf dem Deutschlandtag auch von der bayerischen Jungen Union unterstützt, diese hatte in den vergangenen Jahren zu den härtesten Merkel-Kritikern gehört.

Kuban hat Rechtswissenschaften studiert und ist Leiter der Rechtsabteilung bei den Unternehmerverbänden Niedersachsen. Er kandidiert gerade für das Europaparlament - sein Listenplatz ist so gut, dass seine Wahl als sicher gilt. Kuban wird damit der erste JU-Chef sein, der im Europaparlament sitzt.

Vor seiner Wahl zum JU-Chef hatten die Delegierten ihren bisherigen Vorsitzenden Ziemiak mit minutenlangem Applaus verabschiedet. Der 33-Jährige stand seit September 2014 an der Spitze der Jungen Union. Er hatte sich damals bei einem Deutschlandtag im bayerischen Inzell ebenfalls gegen einen Konkurrenten durchsetzen müssen, zuvor hatte es in der JU jahrzehntelang immer nur einen Kandidaten für den Vorsitz gegeben.

Bei seiner Wahl in Inzell hatte Ziemiak erklärt, Politik sei ein "Spagat zwischen Kompromissbereitschaft und Durchsetzungsvermögen". Er wolle die Unionsspitze zwar nicht andauernd attackieren, aber erreichen, dass diese der JU zuhöre. Das ist Ziemiak dann auch gelungen. In seiner Amtszeit fiel er regelmäßig mit Vorstößen auf - meistens zusammen mit dem heutigen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und dem Vorsitzenden der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann.

Auf dem Bundesparteitag 2016 wurde gegen den Widerstand Merkels ein Antrag von Ziemiaks JU beschlossen, in dem die Wiedereinführung der Optionspflicht bei der doppelten Staatsbürgerschaft verlangt wurde. Beim Parteitag 2015 setzte Ziemiak, wiederum mit der Hilfe Spahns und Linnemanns, einige Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik durch. Auch in der Wirtschaftspolitik verlangte Ziemiak regelmäßig Korrekturen. 2014 stritt er auf dem CDU-Parteitag für die Abschaffung der kalten Progression im Steuerrecht.

Ziemiak konnte den JU-Vorsitz auch für seinen persönlichen Aufstieg nutzen

Die größte Herausforderung in seiner Amtszeit war aber das Austarieren der Differenzen in der Flüchtlingspolitik, die der Herbst 2015 auch in der Jungen Union ausgelöst hatte. Die JU ist die gemeinsame Jugendorganisation von CDU und CSU. In seiner Abschiedsrede in Berlin berichtete Ziemiak von Krisentreffen auf Flughäfen, weil auch bei der Jungen Union die Gefahr der Spaltung bestanden habe.

Ziemiak konnte den JU-Vorsitz aber auch für seinen persönlichen Aufstieg nutzen. Im Herbst 2017 zog er in den Bundestag ein. Und Ende 2018 wurde er dann sogar - als erster amtierender JU-Chef - zum CDU-Generalsekretär gewählt. Dadurch wurde jetzt der Weg für Kuban an die Spitze der Jungen Union frei.

Wenn der Niedersachse als neuer JU-Chef so agiert, wie es seine Bewerbungsrede vermuten lässt, dürfte die CDU-Spitze es künftig noch schwerer mit ihrem Jugendverband haben. Bei ihrem Gastauftritt auf dem Deutschlandtag hat CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zwar erklärt, die Junge Union habe schon immer für "produktive Unruhe" in der CDU gesorgt. Die JU habe sich nie mit den Umständen abgefunden - und immer etwas zu kritisieren gehabt. Das sei auch "gut und richtig so". Sie wünsche sich eine JU, die Dampf und Druck mache, sagte Kramp-Karrenbauer. Das sei etwas, was sie als CDU-Vorsitzende "gut aushalten" könne.

Als die CDU-Chefin das sagte, hatte Kuban allerdings noch nicht gesprochen. Und viele dachten noch, Stefan Gruhner könne gewinnen. Es kam dann anders.

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