Süddeutsche Zeitung

CDU/CSU:Jenseits des großen Grabens

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Wie die Kanzlerin beim Deutschlandtag der Jungen Union in Dresden versucht, die Differenzen in der Union zu überbrücken - und das sind nicht nur die mit der CSU.

Von Robert Roßmann, Dresden

Das Verhältnis der Kanzlerin zu den Fantastischen Vier gehört zu den wenigen Facetten Angela Merkels, die nach zwölf Jahren im Amt noch nicht erschöpfend erforscht sind. Da die CDU-Vorsitzende aber Flöte gelernt hat, gerne Volkslieder singt und vor allem die klassische Musik verehrt, dürfte sie nicht zu den innigsten Kennern der Hip-Hopper gehören. Und so kann es gut sein, dass die Kanzlerin den Willkommensgruß der Jungen Union gar nicht versteht.

Merkel ist am Samstag zum Deutschlandtag der JU nach Dresden gekommen. Die Jugendorganisation ist auch ein Scharnier zwischen CDU und CSU, in ihr ist der Polit-Nachwuchs beider Parteien organisiert. Der Auftritt der Kanzlerin ist deshalb ein Testlauf für das Spitzentreffen der Union tags darauf in Berlin. Und gleich zu Beginn zeigt sich, wie groß der Graben zwischen CDU und CSU ist - trotz der ersten Verständigung, die den Spitzen der beiden Parteien am Sonntagabend gelingen wird.

In Dresden lässt die (CDU-dominierte) Spitze der JU zum Einmarsch Merkels in die Halle "Troy" von den Fantastischen Vier aus den Boxen dröhnen. Der Refrain ist eine Treue-Erklärung an die Kanzlerin. "Du hattest gute Zeiten, wir waren mit dabei, wir werden dich begleiten, wir bleiben troy, du hattest schlechte Zeiten, und wir waren auch dabei, wir werden dich begleiten, wir bleiben troy." Fast alle Delegierten im Saal stehen auf und applaudieren Merkel. Ein Block aber bleibt demonstrativ sitzen. Statt zu klatschen, halten die Vertreter aus Bayern der CDU-Vorsitzenden Plakate entgegen. "Zuwanderung begrenzen!" und "Inhaltlicher und personeller Neuanfang JETZT!" steht auf den Schildern.

Dass es bei der JU nicht einfach werden würde, wusste Merkel. Aber so schwer?

Die Junge Union hatte bereits vor Merkels Ankunft eine "Dresdner Erklärung" beschlossen, in der Merkel zwar ebenfalls die Treue erklärt wird, allerdings verbunden mit der dringenden Aufforderung, ihre Politik zu ändern. Denn auch im CDU-Teil der JU gibt es - "Troy" zum Trotz - einigen Unmut. "Vor dem Hintergrund des schlechtesten Ergebnisses bei einer Bundestagswahl seit 1949 müssen wir uns und unsere Politik der letzten Jahre ehrlich und schonungslos hinterfragen", heißt es da. "Ein schlichtes ,Weiter so'" dürfe es nicht geben. Ziel von CDU und CSU müsse es jetzt sein, "klarer als bisher" das konservative Profil zu schärfen. Außerdem habe die Union im Wahlkampf wegen der Flüchtlingspolitik "mit einem Glaubwürdigkeitsproblem zu kämpfen" gehabt. Und überhaupt: Die Union müsse endlich wieder "sichtbarer und hörbarer werden". So steht es in der Dresdner Erklärung.

Merkel will den Eindruck zerstreuen, sie wolle das Wahlergebnis schönreden

Die Kanzlerin ist also in der Defensive. Deshalb geht sie gleich zum Auftakt ihrer Rede auf die parteiinternen Kritiker zu. Merkel kündigt an, dass über einen möglichen Koalitionsvertrag auch ein Bundesparteitag entscheiden darf. Damit soll den Zweiflern die Sorge genommen werden, dass die Kanzlerin bei den anstehenden Gesprächen mit Grünen und FDP zu weit gehende Zugeständnisse machen könnte.

Merkel versucht in Dresden aber auch, den Eindruck der Kritiker zu zerschlagen, sie würde das Wahlergebnis schönreden und keine Konsequenzen ziehen wollen. Die Jubelbilder am Wahlabend in der Parteizentrale mögen unglücklich gewesen sein, gesteht Merkel ein. Und ihr Satz vom Tag nach der Wahl, sie könne "nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten", sei nicht so gemeint gewesen, wie er klinge. Merkel weist darauf hin, dass sie in dieser Pressekonferenz eine ganze Reihe von Bereichen aufgelistet habe, in denen die CDU jetzt tätig werden müsse. Ihr umstrittener Satz habe sich lediglich auf eine Journalisten-Frage bezogen, ob sie in ihrem Wahlkampf etwas anders hätte machen müssen. Natürlich sei sie "traurig, auch ein Stück geschockt" über das Wahlergebnis. Mit dieser neuen Tonalität punktet die Vorsitzende bei vielen Delegierten.

Ein JUler, der Merkel den Rücktritt nahelegt, wird ausgebuht. Die Kanzlerin sagt der Jungen Union auch zu, an neue Köpfe in Kabinett und Partei zu denken. Ein junger Kopf allein sei zwar noch nicht die Lösung des Problems, sagt Merkel. Aber die Union sei immer stark, wenn es eine Mischung aus Alten und Jungen gebe. Einer der möglichen neuen Köpfe, Finanz-Staatssekretär Jens Spahn, war am Abend zuvor von der JU fast wie ein Popstar gefeiert worden - auch deshalb, weil er die Flüchtlingspolitik als Hauptgrund für die enormen Verluste bei der Wahl ausmachte. "Der Elefant im Raum, den in den Sitzungen unserer Gremien keiner so ansprechen mag", sei diese Flüchtlingspolitik, klagte Spahn.

Merkel nimmt sich tags darauf viel Zeit, ihre Flüchtlingspolitik noch einmal zu erklären. Doch von ihrem Kurs abrücken, das will sie nicht. Die Kanzlerin sagt noch nicht einmal zu, sich künftig immer an Parteitagsbeschlüsse zu halten. Die JU hatte beim letzten Parteitag eine Verschärfung der Regeln für den Doppelpass durchgesetzt. Merkel hatte daraufhin erklärt, dass sie den Beschluss ignorieren werde.

In Dresden wollen mehrere Delegierte - unter ihnen der bayerische JU-Chef Hans Reichhart - von Merkel wissen, ob sie sich wenigstens künftig an Beschlüsse halten wolle. Doch die Vorsitzende vermeidet eine derartige Zusage. Stattdessen versucht sie es mit einer Gegenfrage: Es gebe doch auch einen Parteitagsbeschluss zur Mütterrente, den die Junge Union nicht gut finde. Ob die JU wolle, dass der jetzt umgesetzt werde? Auf ähnliche Weise schmettert Merkel Forderungen ab, alles dafür zu tun, damit es möglichst schnell keine relevante AfD mehr gibt, etwa durch einen Rechtsruck der CDU. Sie sei wie Franz Josef Strauß der Meinung, dass es keine Partei rechts von der Union geben dürfe, sagt Merkel. Allerdings hätte auch Strauß nicht gewollt, dass man zur Erreichung dieses Ziels seine eigenen Prinzipien aufgebe.

Am Ende hat Merkel bei den JU-Delegierten trotzdem Sympathien gewonnen, auch deshalb, weil sie sich der Debatte gestellt hat. Horst Seehofer ist nicht nach Dresden gekommen. Die Kanzlerin wird mit freundlichem Applaus verabschiedet. Nur die Delegierten aus Bayern bleiben wieder demonstrativ sitzen.

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Quelle:
SZ vom 09.10.2017
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