Süddeutsche Zeitung

Bundestag:Unionsfraktion kündigt schärfere Regeln für Parlamentarier an

Lesezeit: 3 min

Nach den Skandalen um Bundestagsabgeordnete wollen CDU und CSU mit einem ganzen Katalog an Maßnahmen plötzlich für mehr Transparenz sorgen. Das hätten sie schon seit Jahren tun können.

Von Klaus Ott und Robert Roßmann, Berlin, München/Berlin

In der Union rumort es. Gleich drei Abgeordnete sind ihrer Bundestagsfraktion binnen einer Woche abhandengekommen; wegen unappetitlicher Geschäfte. Zwei sollen sechsstellige Summen für die Vermittlung von Corona-Schutzmasken kassiert haben, der Dritte hat sich eine Werbepostille für seinen Wahlkreis via Anzeigen vom Regime in Aserbaidschan mitfinanzieren lassen. Jetzt soll aufgeräumt werden.

Die Fraktionsspitze um Ralph Brinkhaus (CDU) und Alexander Dobrindt (CSU) hat alle verbliebenen Abgeordneten ultimativ aufgefordert, eine Erklärung abzugeben, keine finanziellen Vorteile aus dem Kauf oder Verkauf von Medizinprodukten erzielt zu haben. Am Freitagabend konnte sie melden: Alle Abgeordneten haben diese Versicherung unterschrieben. Außerdem kündigte die Fraktionsspitze einen ganzen Katalog an Verschärfungen an. Bundestagsabgeordneten soll künftig "die entgeltliche Tätigkeit als Interessenvertreter für einen Dritten gegenüber der Bundesregierung oder im Bundestag" gesetzlich verboten werden. Verstöße sollen mit einem Ordnungsgeld geahndet werden. Außerdem sollen die Abgeordneten verpflichtet werden, Gewinne aus einer derartigen unerlaubten Tätigkeit an den Bundestag abzuführen.

Generell sollen Nebeneinkünfte transparenter werden. Von 100 000 Euro an sollen sie künftig "auf Euro und Cent genau angegeben" werden. Spenden an Abgeordnete sollen ganz verboten werden. Die Mindeststrafe für Abgeordnetenbestechung und -bestechlichkeit soll auf ein Jahr Haft erhöht werden. Und manches mehr.

Das Ende der ewigen Versuchung?

Jetzt soll also plötzlich kommen, was die größte Parlamentsfraktion jahrzehntelang abgewehrt hat. Der Bundestag, ein Tummelfeld für Lobbyisten, soll gläsern werden. In der Union ist die Angst groß, dass Corona-müde und über Corona-Profiteure empörte Bürger sich sonst in Scharen von den letzten beiden Volksparteien abwenden. Die CDU könnte es schon an diesem Sonntag bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz treffen.

Ist das jetzt das Ende der ewigen Versuchung, Parteikassen zu füllen, und manchmal auch die eigenen Taschen? Das Verhalten der beiden Pandemie-Profiteure Georg Nüßlein (CSU) und Nikolas Löbel (CDU) sei schäbig, schändlich und "Gift für die Demokratie", hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Freitag gesagt.

Nüßlein und Löbel sind nach derzeitigem Stand der Dinge seltene Extremfälle, aber die Grauzone ist groß. Es gibt Abgeordnete, die nebenbei Beraterfirmen betreiben, und bei denen unklar ist, was sie von wem und wofür kassieren. Außerdem gibt es Juristen unter den Parlamentariern, die nebenbei als Anwälte gut verdienen. Bei CDU und FDP sind mehr als 20 Prozent der Abgeordneten Juristen.

Die Vorhaben von Brinkhaus und Dobrindt dürften für Zündstoff sorgen

Ein Bundestagsabgeordneter, der als Anwalt für seine Mandanten bei Justizbehörden vorspricht, hat eine ganz andere Wirkung als ein unbekannter Rechtsvertreter. Und er muss im Bundestag wegen des Mandatsgeheimnisses nicht offenlegen, von wem er wie viel kassiert. An der CDU-Parteibasis werden jetzt erste Stimmen laut, auch hier für weitgehende Transparenz zu sorgen. Konflikte sind programmiert. Was ist wichtiger? Ein gläsernes Parlament oder die Berufsfreiheit und die anwaltliche Schweigepflicht?

Auch die Absicht von Brinkhaus und Dobrindt, Abgeordneten mit Führungsaufgaben in der Fraktion bezahlte Nebenjobs praktisch ganz zu verbieten, dürfte für Zündstoff sorgen. Sollen die wenigen Ärzte, Handwerker und Landwirte im Bundestag jetzt Beruf und Betrieb aufgeben, weil Nüßlein, Löbel und andere jegliches Maß verloren haben? Und weil der Thüringer CDU-Abgeordnete Mark Hauptmann seine Werbepostille mit Anzeigen aus Aserbaidschan finanzierte? Formal war der Anzeigendeal legal, aber eine derartige Unterstützung von Abgeordneten sollte es eigentlich nicht geben.

Auch bei der Parteienfinanzierung ist es bisher mit der Transparenz nicht weit her. Bei Spenden muss erst von 10 000 Euro an der Geldgeber genannt werden. Und öffentlich werden derlei Spenden erst mit gut einem Jahr Verspätung. Erst von 50 000 Euro an müssen Spenden sofort offengelegt werden.

Aus Deutschlands führendem Glücksspielkonzern, der Gauselmann AG, sind zwischen 1990 und 2010 über viele einzelne Spenden verdeckt offenbar mehr als eine Million Euro an Union, SPD, FDP und Grüne geflossen. Dem Konzern war nicht an strengen Auflagen für die umstrittenen Spielhallen gelegen. Die Parteispenden waren anrüchig, aber legal.

Die mangelnde Transparenz in Bundestag und Parteien hätte längst beseitigt werden können, wenn die Unionsfraktion als größte politische Kraft dies gewollt hätte. Vieles von dem, was die Unionsfraktion jetzt plötzlich in Angriff nehmen will, wird seit Jahr und Tag von Organisationen wie Transparency International gefordert. Das gilt auch für das Lobbyregister, mit dem das Wirken der vielen Einflussnehmer auf die Politik dokumentiert werden soll.

Bezeichnend waren auch die Bedenken der Union gegen den 2014 nach langem Zögern eingeführten Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung. Bei den Beratungen im Bundestag fiel eine Unionsfrau vor allem durch eine Sorge auf: "Wie kann man vermeiden, dass Ermittlungsverfahren vorschnell in Gang gesetzt werden?"

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5234111
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.