Süddeutsche Zeitung

CDU-Basis:Tränen der Freude, Tränen der Trauer

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Die eine füllt einen Mitgliedsantrag aus, die andere macht nach fast 50 Jahren Schluss mit ihrer Partei: Die Reaktionen zweier Frauen auf die Wahl Armin Laschets spiegeln die Befindlichkeiten an der CDU-Basis wider.

Von Boris Herrmann, Robert Roßmann und Viktoria Spinrad

Zwei Frauen, zwei Stimmungslagen. Die eine lebt in Schleswig-Holstein, die andere in Hessen. Beide haben wegen des Wahlsieges von Armin Laschet gegen Friedrich Merz eine aufregende Woche hinter sich. Die eine ist deshalb in die CDU eingetreten - die andere ausgetreten.

Kathrin Sonnenschein, 35 Jahre alt, erzählt am Telefon, sie habe am vergangenen Samstag heulend vor dem Fernseher gesessen, als Laschet neben das Pult trat und mit der Bergmanngeschichte seines Vaters um Vertrauen warb. "Einfach sympathisch, im Leben drinne", habe sie gedacht. Wenig später füllte sie auf der Internetseite des CDU-Kreisverbandes Dithmarschen einen Mitgliedsantrag aus. "Spontane Entscheidung", sagt Sonnenschein. Wenn sie sich nicht gerade von Parteitagsreden rühren lässt, dann arbeitet sie in ihrer Heimat, oben an der Nordsee, in einer Hautarztpraxis.

Auch Anne Höhne-Weigl, 70, sagt, sie habe "echt geweint", als sie den Parteitag verfolgte. Sie sei fest davon ausgegangen, dass Merz gewinnt. Höhne-Weigl hat dann noch mal eine Nacht darüber geschlafen, sie wollte sich nach fast 47 Jahren Parteimitgliedschaft nicht von einer spontanen Frustration leiten lassen. Am nächsten Tag verfasste sie einen Brief, den sie an "Herrn Armin Laschet" adressierte. In dem Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt, heißt es: "Heute ist nun Schluß! Daß Sie zum Bundesvorsitzenden der CDU Deutschlands ge­wählt wurden, war der Tropfen zum Überlauf!"

Höhne-Weigl betreibt mit ihrem Mann ein Nachhilfe-Institut in der Nähe von Hanau. Dass sie noch der alten Rechtschreibung folgt, darf man als Ausdruck einer konservativen Grundhaltung betrachten. Das scharfe S, das große C - nichts ist mehr, wie es war. "Die CDU hat mir einmal einen Rahmen gegeben, in dem ich mich wohlgefühlt habe", sagt Höhne-Weigl am Telefon.

Es knirscht. Frustrierte gibt es vor allem im Osten und Südwesten

Die unterschiedlichen Stimmungen zeigen sich auch auf der größeren Ebene. Ein paar Eintritte, ein paar Austritte - so ist der Tenor, wenn man bei den Landesverbänden nachfragt. Die Basis scheint sich nicht ganz so polarisiert gegenüberzustehen wie nach der Wahl vor gut zwei Jahren, als sich Annegret Kramp-Karrenbauer gegen Merz durchgesetzt hatte. Was aber nicht heißt, dass es nicht knirscht.

Frustrierte findet man vor allem im Osten und in Baden-Württemberg, wo Merz große Hoffnungen auf einen Kurswechsel geweckt hatte. Zumal viele Zweifel haben, dass der tief im Westen sozialisierte Laschet den Osten gleichermaßen auf der Agenda haben wird. Manch einer befürchtet deshalb, dass die AfD hier weiter zulegen könnte. "Damit wäre dem Land auch nicht geholfen", heißt es an der Basis in Sachsen-Anhalt.

Man spürt aber auch die Bemühungen, die Lage jetzt nicht eskalieren zu lassen. Christian Hirte, der als CDU-Vorsitzender in Thüringen einen besonders Merz-freundlichen Landesverband vertritt, sagt: "Laschet wird das besser machen, als viele denken."

Anne Höhne-Weigl denkt das nicht. Sie ist sich sicher: "Wenn die Basis gefragt worden wäre, dann hätte Merz hundert Mal gewonnen." Die 1001 Delegierten des Parteitags zählt sie nicht zur Basis, das seien "Mandatsträger, die alle um ihre Reputation fürchten müssen, wenn sie nicht spuren", so steht es in ihrem Kündigungsschreiben.

Bis zu ihrem Parteiaustritt war Höhne-Weigl Ehrenvorsitzende der Frauen Union im Main-Kinzig-Kreis. Sie hat sich geärgert, dass der Bundesvorstand der Frauen Union zwar Wahlempfehlungen für Laschet und Norbert Röttgen, nicht aber für Merz ausgesprochen hatte. Für sie war das ein weiterer Beweis, dass Merz eben doch recht hatte, als er unlängst eine Verschwörung des "Establishments" in der Partei witterte. Jetzt sei dieses Establishment mal wieder zum Zug gekommen, so sieht Höhne-Weigl das.

Laschet führt Merkels Erbe weiter, hofft Kathrin Sonnenschein

Auf Kathrin Sonnenschein wirkte Merz immer "kalt und kompromisslos". Hätte er gewonnen, dann wäre sie jetzt nicht in der CDU. Sie sagt: "Frau Merkel ist meine Kanzlerin. Für mich ist es das Schlimmste, dass es jetzt vorbeigeht." Laschet traut sie am ehesten zu, dieses Erbe weiterzuführen. Deshalb will Sonnenschein jetzt mitmachen in der CDU.

Und genau deshalb macht Höhne-Weigl Schluss. In ihrem Abschiedsbrief an den neuen Parteivorsitzenden drückte sie es so aus: "Die Fäden von Angela Merkel wurden leider nicht abgeschnitten, und ich traue Ihnen auch nicht zu, daß Sie diese abschneiden können!" Was sie störte an der Ära Merkel, waren weniger die einzelnen politischen Entscheidungen als die grundsätzliche Art, Politik zu machen, "dieses Nicht-konkret-Position-Beziehen".

Im September ist Bundestagswahl. Anne Höhne-Weigl sagt nach fast fünf Jahrzehnten in der Partei: "Ich weiß gar nicht, warum ich überhaupt noch CDU wählen soll." Kathrin Sonnenschein sagt am fünften Werktag ihrer Mitgliedschaft: "Das wird toll, ich lege da ganz viel rein." Längst nicht jedem Ende wohnt ein Anfang inne, aber diesem womöglich schon.

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