Süddeutsche Zeitung

Vorwahl in New Hampshire:Junger Ritter gegen altes Schlachtross

Lesezeit: 5 min

In New Hampshire haben Peter Buttigieg und Bernie Sanders gute Chancen auf den Sieg. Beide achten darauf, prä­si­di­a­bel zu wirken. Der eine versucht es mit Inhalten, der andere verkauft Gefühle.

Von Thorsten Denkler, Rindge/New Hampshire

Seine Fans jubeln schon weit bevor er endlich aufs Podium tritt. "Bernie! Bernie! Bernie!", rufen sie. Sanders genießt es, hebt die Hände, winkt, und stellt seine Frau als zukünftige First Lady der USA vor. Souverän.

Er steht auf einem Podium in der Turnhalle der Franklin Pierce University in Rindge im Süden von New Hampshire. Es ist voll, 200, 300 Leute vielleicht. Aber nicht so voll, dass es ein Gedränge wäre. Es kann ja auch nicht überall so gut laufen wie am Tag zuvor in Manchester, als sich fast 2000 Menschen für ihn versammelt haben. Die größte Vorwahlkundgebung bisher, wie er mit einiger Zufriedenheit verkündet.

Dies ist keine "Ich höre mal, was der zu sagen hat, und dann gucke ich mal, wen ich wähle"-Veranstaltung. Dies ist eine Bernie-Feier, in der Bernie Sanders gelassen ein wenig mitfeiert.

Beide wollen vor allem "Wählbarkeit" demonstrieren

Am Abend zuvor in der Mehrzweckhalle der Mittelschule von Londonderry, etwa eine Autostunde östlich von Rindge. Pete Buttigieg tritt auf. Die Halle ist gerappelt voll. Vor der Tür warten noch mindestens hundert Menschen. Für sie wird der Ton in die Eingangshalle der Schule übertragen. Und sie bleiben tatsächlich und hören, was "Pete" zu sagen hat.

Pete hüpft unter Jubel auf die Bühne, als hätte er gerade drei Energiedrinks in sich hineingeschüttet. Kein Jackett, nur weißes Oberhemd mit Krawatte, die Ärmel aufgekrempelt. Ich bin bereit, das soll dieser Auftritt sagen. "Stellt euch den Tag vor, an dem Trump nicht mehr Präsident sein wird", sagt er, und sofort bricht erneut ein Johlen und Pfeifen los. Buttigieg hat mit seinem ersten Satz alles Wichtige gesagt. Trump muss weg. Und Pete wird das schaffen.

"Electability", auf deutsch Wählbarkeit, das ist das Wort, um das sich alles dreht. Sanders, 78, muss zeigen, dass er mehr ist als der "angry old man", der wütende alte Mann. Eine Rolle, die ihm 2016 fast die Nominierung der Demokraten eingebracht hätte. Oder die sie ihn gekostet hat. Je nach Lesart. Pete Buttigieg dagegen muss dafür sorgen, dass die Menschen sich ernsthaft vorstellen können, einen nicht mal 40 Jahre jungen schwulen Mann ins Oval Office zu wählen.

Beide brauchen einen Sieg in New Hampshire an diesem Dienstag. Fast eine Woche nach der ersten Vorwahl in Iowa gaben die Demokraten dort am Sonntag endlich den Sieger bekannt: Es ist so knapp wie überraschend Buttigieg, der voraussichtlich zwei Delegierten-Stimmen mehr als Sanders holte. In New Hampshire, wo an diesem Dienstag gewählt wird, könnte es ähnlich knapp werden.

Siege generieren Siege generieren Siege

Hinzu kommt: Die beiden ersten Vorwahlen gehören zu jenen, die die meiste Aufmerksamkeit bekommen. Wer Buttigieg vor Iowa nicht auf dem Schirm hatte, der hat es jetzt bestimmt. Gewinnt er auch noch New Hampshire, dann pustet das enorm viel Wind in seine Segel. Siege generieren Siege. Siege sind fast noch wichtiger als Botschaften, Konzepte und Ideen. Wer siegt, der zeigt, dass er es schaffen kann.

Der Kampf um den wichtigen Platz eins in New Hampshire, er ist also zu einem Duell zwischen dem alten Schlachtross Bernie Sanders, Senator aus dem benachbarten Vermont, und dem jungen Ritter Pete Buttigieg geworden, der bis vor wenigen Wochen noch Bürgermeister der 100 000-Einwohner-Stadt South Bend in Indiana war. Als er vor einem Jahr ins Rennen um die Präsidentschaftskandidatur einstieg, musste er zunächst ein paar Vorurteile aus dem Weg räumen. Dass er mit seinen mittlerweile 38 Jahren zu jung sei, dass er als Bürgermeister zu wenig Erfahrung habe, dass er irgendwie immer noch wie ein Schuljunge aussehe.

Für sein Aussehen kann er nichts. Sein Alter kann er auch nicht ändern. Aber er kann seine Auftritte optimieren. Auf der Bühne stehen in exakt bemessenen Abstände abwechselnd die US-Flagge und die blaue Flagge mit dem Wappen des Bundesstaates New Hampshire. Dazu ein Hocker, an dem ein Schild befestigt ist mit der Botschaft: "Turn the page", schlagt eine neue Seite auf. Nichts weiter. Das wirkt schon sehr seriös, präsidentiell eben.

Sanders will die inhaltliche Revolution

Sanders muss das auch, wie ein Präsident wirken. Für ihn heißt das, etwas weniger Dampf im Kessel. Er bleibt ruhig heute, wirkt entspannt. Kein Gebrüll, kein Gekeife. Was ihn tatsächlich sympathischer macht.

Eine Revolution will er dennoch. Sanders streift alle Themen, in denen er das Land auf den Kopf stellen will. Eine Gesundheitsversicherung für alle etwa, sein Kernprodukt. Es muss für manche US-Amerikaner wie ein Traum klingen: keine Zuzahlungen mehr, keine Selbstbeteiligung, keine Vorauszahlungen mehr, geringe Prämien. Keiner soll mehr pleitegehen wegen einer horrenden Arztrechnung. Bezahlen will er das mit einer umfassenden Steuerreform. In der vor allem das oberste eine Prozent der Bürger deutlich mehr Steuern zahlen soll. Viel Beifall im Publikum.

Danach geht Sanders direkt zum Klimawandel über, wettert noch gegen private Gefängnisse, fordert schließlich ein gebührenfreies Studium - und die Legalisierung von Marihuana! Dafür bekommt er mit Abstand den meisten Applaus.

So wie Pete Buttigieg. Er braucht junge Wähler. Legalisierung ist darum auch sein Thema. Zielgruppengerechte Ansprache eben. Dann streift er noch ein paar ernste Themen. Ein Mädchen, das nach einem schusssicheren Rucksack für die Schule fragt? Das sollte nicht ihr Problem sein. Ein junger Mann, der kein Geld mehr hat, sich seine Dosis Insulin zu leisten? Das sollte nicht sein Problem sein.

Buttigieg setzt aufs Gefühl - bislang mit Erfolg

Richtig. Aber viel tiefer steigt er nicht ein in politische Konzepte. Er verkauft Gefühle. Vor allem das Gefühl, dass er sich schon gut drum kümmern wird. Wer mit den Leuten hier spricht, bekommt die immer gleichen Antworten. Sie mögen ihn einfach. Wie er spricht, wie er immer gelassen bleibt. Dass er sich nicht in die Enge treiben lässt. Seine Energie. Der einzige weiße Mann im Rennen, der noch keine weißen Haare hat. Was er will oder nicht, spielt keine große Rolle. Buttigieg bleibt bisweilen der nette Schwiegersohn mit der Wundertüte. Ein anderer gewann 2008 auf ähnliche Art die Wahl: Barack Obama.

Noch haben beide Wege Erfolg. Sanders kann New Hampshire genauso gewinnen wie Buttigieg. Von einem Sieg im Herbst aber sind sie noch weit entfernt.

Die Turnhalle der Franklin Pierce University von Rindge hat sich geleert. Ein paar Helfer klappen die letzten Stühle zusammen. Sanders ist schon auf dem Weg zum nächsten Termin. In der Vorhalle macht der Reporter einer unabhängigen Internet-Newsseite eine Live-Schalte, in der er über etablierte Medien herzieht, die Wahlchancen der Kandidaten auslotet, vor allem aber seine Zuschauer bittet, Geld zu spenden.

Eine neue Nachricht kommt live herein. Die Meinungsforscher des angesehenen Quinnipiac-Institutes haben eine neue nationale Umfrage veröffentlicht. Der Reporter hält den Bildschirm seines Smartphones in die Kamera. Bernie Sanders liegt klar vorne! 25 Prozent! Es ist das erste Mal, dass Sanders in dieser Umfrage führt. Joe Biden, bisher noch führend in den meisten Umfragen, liegt jetzt deutlich dahinter, nur noch 17 Prozent. Elizabeth Warren schafft 14 Prozent. Buttigieg kommt auf zehn Prozent.

Aber da gibt es noch Michael Bloomberg, den Medien-Milliardär. Er schafft 15 Prozent. Und er fängt gerade erst an, Wahlkampf zu machen. "Das ist ein großes Ding", sagt der Reporter. Zumindest für den Moment. Die Vorwahlen haben gerade erst Fahrt aufgenommen.

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